Seit Nikon das neue 300 mm f/4 auf den Markt gebracht hat, ließ es mich nicht los. Konnte ein so kleines Objektiv überhaupt nur annähernd an die Leistung meiner «Big Mama», dem 300 mm f/2.8 VRII, kommen? Auf dem Papier ist das Neue zwar eine Blendenstufe lichtschwächer – aber dafür auch nur 1/4 so schwer und viel, viel kleiner. Zudem kostet es weniger als die Hälfte. Letzte Woche habe ich es nun endlich testen können – mit überraschendem Ergebnis!
Schon seit der Vorstellung des neuen f/4 habe ich versucht, an ein Testexemplar zu gelangen, leider war es mit bisher aufgrund der hohen Nachfrage nicht gelungen. Letzte Woche ergab es sich dann, dass die Teilnehmerin eines meiner Zeitraffer-Coachings eines mitbrachte und wir die Gelegenheit nutzten, am Hamburger Hafen einige Testaufnahmen zu machen. Allzulang hatte ich das Objektiv leider nicht in der Hand, da Monika ihren Flieger zurück in die Schweiz bekommen musste – für einige Aha-Erlebnisse reichte es aber!
Zunächst einmal ein paar Daten im Vergleich. Links das neue f/4, rechts das f/2.8:
Nikkor 300mm 4 AF‑S PF ED VR |
Nikkor 300mm 2.8 AF‑S G ED VR II |
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Lichtstärke | f/4 | f/2.8 |
Optischer Aufbau | 16 Linsen in 10 Gruppen (inkl. 1 Beugungslinse (PF) und 1 ED-Glas-Linse) |
11 Linsen in 8 Gruppen (davon 3 Linsen aus ED-Glas und Nanokristall-Vergütung) |
Bildwinkel | 8°10’ (5°20’ bei DX-Format) | 8°10 (5°20 im Nikon-DX-Format) |
Naheinstellgrenze | 1,4 m | 2,3 m |
Max. Abbildungsmaßstab | 1:4,2 | 1:6,25 |
Anzahl der Blendenlamellen | 9 (abgerundet) | 9 (abgerundet) |
Filtergewinde | 77 mm | 52 mm (Innenfilter) |
Abmessungen | 89 × 147,5 mm | 124 x 267,5 mm |
Gewicht | 755 g | 2900 g |
Preis | ca. 2.000 € | ca. 5.000 € |
Wie man unschwer erkennen kann, sprechen auf dem Papier alle Fakten – außer der Lichtstärke – zunächst für das f/4 Objektiv. Die große und alles entscheidende Frage ist nun, wie verhält es sich mit der Bildqualität?
Um das zu testen nutzte ich ein stabiles Stativ stellte bei meiner D750 die Spiegelvorauslösung ein, und an den Objektiven das VR aus. Fokussiert habe ich im Liveview. Alle Aufnahmen erfolgten im M Modus bei ISO 100.
Bei solchen Objektiven interessiert natürlich vor allem die Leistung bei Offenblende. Bei der Tier- und Sportfotografie kommt es auf sehr kurze Belichtungszeiten an, sowie das möglichst gute Freistellen des fotografierten Subjekts vor dem Hintergrund. Der Verlust von einer Blende beim f/4er gegenüber dem f/2.8er ist für den Natur- und Sportfotografen daher schon ein erheblicher. Bei meinem Test habe ich mich daher auf die Offenblende konzentriert und verglichen, wie sich das 4er bei Offenblende gegenüber dem 2.8er bei Offenblende sowie dem 2.8er bei Blende 4 verhält.
Die Hafenkulisse auf der anderen Elbseite eignete sich hierfür ganz hervorragend, da unglaublich viele kleine Details z.B. an den Containern sichtbar sind.
Das «Problem» mit der Helligkeit
Was uns schon direkt auf dem Display auffiel, war, dass sich die Helligkeit der Bilder beider Objektive erheblich unterschied. Die Bilder aus dem f/4er waren ca. 2/3 Blendenstufen dunkler, als die aus dem f/2.8er. Nun glaubt der Mensch ja zunächst, was er für plausibel hält, und so war mein erster Verdacht, dass das f/4 nun gar kein f/4 sei, sondern in Wirklichkeit ein f/5 – das würde ja auch viel eher zu der kleinen Bauweise passen. Dass das 2.8er hier zu hell sei, kam mir erst mal, frei nach dem Motto «Was nicht sein kann, das nicht sein darf», natürlich nicht in den Sinn.
Dass ich dem «Neuen» hier unrecht getan hatte, merkte ich erst nach intensiven Versuchen und Testreihen zu Hause, als ich wirklich mal Blendenreihen mit dem 2.8er machte und feststellte, dass der Helligkeitsverlauf hier alles andere als proportional zu den einstellbaren Blendenstufen ist. Mit der «Belichtungen Angleichen» Funktion in Lightroom kann man das ganz gut testen, noch besser geht es mit dem «Heiligen Gral Wizard» von LRTimelapse – hier kann man sich dann sogar den Verlauf der Helligkeiten als Kurve vor und nach dem Angleichen der Belichtungen ansehen.
Hier mal die Daten der Testbilder:
Schon an der Biegung der Blauen Kurve sieht man hier, dass der Helligkeitsverlauf zu kleineren Blendenöffnungen hin, insbesondere im linken Bereich, nicht linear verläuft. Die orange Kurve zeigt die erforderliche Helligkeits-Kompensation, um alle Bilder mit den unterschiedlichen Blenden und sonst gleichen Parametern, gleich Hell zu bekommen.
Nach Anwenden der Entwicklungen mit der kompensierten Helligkeit (orange Kurve), müsste man nun eigentlich eine waagerechte Gerade erhalten, sprich, alle Bilder müssten gleich hell sein. In Wirklichkeit aber, zeigt die nun generierte, pinke Kurve hier aber, dass die Bilder auch nach dem Ausgleich der unterschiedlichen Blenden, ab f/2.8 deutlich heller werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: das Nikkor 300 f/2.8 ist bei allen Blendenwerten größer als 2.8 mehr oder weniger zu hell. In der Praxis ist das egal, aber für solche Objektivvergleiche dann doch erheblich.
Was wichtiger ist: das Nikkor 300 f/4 ist ein echtes f/4, also genau eine Blendenstufe lichtschwächer, als das 2.8er.
Übrigens: bevor ich selbst drauf gekommen bin, habe ich eine Support-Anfrage an Nikon gestellt und ihnen 2 Raw-Bilder zur Verfügung gestellt. Bin mal gespannt, was sie antworten, ich halte euch auf dem Laufenden!
Update: Hier die Antwort von Nikon, die wirklich sehr schnell kam (am nächsten Werktag):
Ich habe Rückfrage mit der Entwicklungsabteilung gehalten. Das neue AF‑S Nikkor 300mm f/4E PF ED VR hat eine neue, präzisere elektromagnetischeBlendensteuerung und ein neues Lamellensystem, die eine sehr genaue Blendeneinstellung bezüglich des tatsächlichen Lichtwertes gewährleisten. Unterschiede in Helligkeit zwischen verschiedenen Objektiven bei gleicher Blendeneinstellung sind, wie telefonisch bereits besprochen, nichts Ungewöhnliches, als Referenz muss hier aber das neue 4er-Objektiv herhalten. Eher lässt sich also das 2,8er-Objektiv mit der alten, mechanischen Blendensteuerung nicht so präzise auf die Blende 4 einstellen, sondern lässt hier etwas mehr Licht durch als es rechnerisch korrekt wäre. […] Mit der neuen Blendensteuerung, mit der voraussichtlich alle zukünftigen Tele-Objektive ebenfalls ausgestattet werden werden, sollten diese Unterschiede dann allerdings kleiner werden.
Die Schärfe und Abbildungsqualität
Die zweite Überraschung erlebte ich nun beim Vergleichen der Bilder der beiden Objektive in der 1:1 Ansicht. In diesem Fall mache ich das einmal, da ich die Leistung der Objektive vergleichen möchte. Die Helligkeitsunterschiede habe ich nun manuell kompensiert, um eine gute Vergleichbarkeit bezüglich der Schärfe zu bekommen.
Hier zunächst die Gesamtansicht der Vergleichsbilder. Links «Big Mama», rechts die schlanke Herausforderin.
Bitte auf die Bilder klicken, um sie groß zu sehen, sonst könnt ihr nichts erkennen…
Und nun einmal ein paar 1:1 Details aus dem Bild:
Hier noch ein weiterer Vergleich, zunächst wieder beide mit f/4:
Hier ein Detail:
und nun mal «Big Mama» bei f/2.8 und die Neue bei f/4:
Wie ihr seht, sind beide Objektive bei 24 Megapixeln in der 1:1 Ansicht wirklich sehr, sehr gut. Neben der sehr hohen Schärfe gibt es auch keine Bildfehler, wie Chromatische Aberrationen (Farbsäume) etc.
Aber besonders in den Randbereichen überzeugt das f/4 doch durch ein Quäntchen mehr an Schärfe – das war für mich wirklich überraschend.
Weitere Aspekte
Der VR funktioniert, nach meinen schnellen Tests aus der Hand, sehr zuverlässig. Deutlich merkt man den Unterschied, ob er ein- oder ausgeschaltet ist. Schwächen im VR, die Tester sehr früher Exemplare z.T. festgestellt haben, konnte ich bei meinem Exemplar nicht feststellen.
Update: frühe Chargen der 300er f/4 PF scheinen in Verbindung mit der D800/D810 teilweise Probleme mit dem VR zu haben. Hier kann man seine Seriennummer checken lassen und eine kostenlose Behebung anfordern.
Update 2: Offenbar betrifft das Problem nur sehr frühe Chargen. Das von mir nun gekaufte Objektiv (12.07.2015) hat die S/N 209xxx – betroffen von dem Problem sind S/N kleiner als 205101
Viel Zeit hatte ich leider nicht, um weitere Aspekte zu testen. Interessant wäre auf jeden Fall noch das Bokeh beim Freistellen von Subjekten im Vordergrund. Das, und weitere Praxistests liefere ich gerne nach.
Mein Fazit
Ich bin wirklich beeindruckt von der Schärfe des neuen Nikon 300mm AF‑S f/4 PF ED VR. Mein 300 f/2.8 war für mich immer so eine Art Referenz im Bereich Schärfe bei Tele-Objektiven, in meinen Vergleichen hat das Neue f/4 hier trotz seiner kleinen Bauweise und dem günstigeren Preis die Nase vorne, was ich im Vorfeld nie für möglich gehalten hätte. Natürlich darf man nicht vergessen, dass mein 300er nun seit 3 Jahren überall auf der Welt im Rucksack unterwegs war und noch nie beim Service justiert wurde. Ich vermute daher, dass eine Justage hier die beiden wieder en Par bringen würde und werde es in Kürze mal zu Nikon schicken.
Nichts desto Trotz, ist die Performance, die das f/4 hier in Punkto Schärfe abliefert, allererste Sahne und ganz sicher Referenzwürdig.
Von der Größe, dem Gewicht und dem Handling her entspricht es ungefähr dem Nikon 24–70 f/2.8 Objektiv – also einem Vollformat-Universal-Zoom. Das ist in der Praxis etwas ganz anderes, als einen 3‑Kg-Koloss mitzuschleppen!
Schmerzhaft ist natürlich für Tier- und Sportfotografen der Verlust der ganzen Blendenstufe gegenüber f/2.8. Das verdoppelt zum einen die Belichtungszeiten: in kritischen Situationen, insbesondere bei der Tierfotografie, kann das schon entscheidend sein, siehe mein Bericht zu unserer morgendlichen Papageienfotografie im Peruanischen Urwald.
Zum anderen kostet es aber auch Freistellpotenzial, das man dringend benötigt, um weit entfernte Subjekte scharf und den dahinter befindlichen Hintergrund unscharf zu bekommen. Wie stark sich das im Einzelfall auswirkt, hängt extrem vom jeweiligen Motiv und der Situation ab. Hier wird erst die Praxis zeigen, wie groß der tatsächliche Verlust gegenüber dem f/2.8 ist.
Im Endeffekt muss man also abwägen: braucht man die Blende 2.8 wirklich? Alles andere spricht nämlich für das f/4: Der Preis, das Gewicht, die Größe, die Bildqualität.
Ich gebe zu: auf der letzten Altiplano-Reise habe ich das 300er nicht mitgenommen. Warum? Nun, mein Handgepäck wog auch ohne schon 16 Kg und der Fotorucksack ist bei solchen Reisen immer am Mann. Ein 300er f/2.8 dabei zu haben heißt dann auch, permanent 3 Kg Zusatzgewicht mit sich herum zutragen, die außerdem noch extrem viel Platz wegnehmen. Und nun die wichtige Frage: was nutzt ein solches tolles Objektiv, wenn es zu Hause liegt? Richtig. Gar nichts!
Klar, habe ich Ausreden gefunden. Ich war schließlich zum 3. Mal dort, die ersten 2 Male hatte ich es ja schon dabei. Trotzdem habe ich es vermisst. Mit dem 300er f/4 hätte sich die Überlegung aber gar nicht erst gestellt. Es wäre dabei gewesen.
Jedenfalls habe ich meine Entscheidung getroffen: ich habe es jetzt erst einmal bestellt. Mein 2.8er schicke ich dann zum justieren und danach kann ich euch sicherlich noch etwas ausführlicher berichten und vor allem, dann auch ein paar praxisnähere Bilder, als die Hafenszenen zeigen – auch wenn ich diese zur Beurteilung der Schärfe schon für sehr gut halte.
Mit dem 300 f/4 reiht sich Nikon auf jeden Fall in die Reihe der Objektivhersteller ein, die in jüngster Zeit gezeigt haben, dass auch als Gegeben angenommene optisch-physikalische Zusammenhänge durchaus mit der entsprechenden technischen Kreativität umgangen werden können und das vor einigen Jahren noch als kaum möglich gehaltene Objektiv-Konstruktionen plötzlich in den Bereich des Machbaren rücken. Die Auflösung, die das 300 f/4 liefert, ist jedenfalls aus dem obersten Regal. In ein solches Objektiv zu investieren, wenn man die Verwendung dafür hat, macht aus meiner Sicht viel mehr Sinn, als jedes Jahr einen neuen Kamera-Body zu kaufen.
Bezugsquelle
Hier einige Bezugsquellen für das Nikkor 300mm f/4:
- Nikkor 300 f/4 PF ED VR bei Calumet
- Nikkor 300 f/4 PF ED VR bei Amazon
- Nikkor 300 f/2.8 G ED VR-II bei Calumet
Update
Hier mein Bericht vom 300 f/4 PF im Einsatz auf dem Kite Worldcup in SPO:
Mit dem Nikon 300mm f/4 beim Kite Worldcup 2015 in St. Peter Ording
Auch dieses Jahr war ich wieder, leider aus Zeitgründen nur kurz, in St. Peter Ording zum Kitesurf Worldcup. Und wie auch schon in den Vorjahren, wollte ich mir nicht nur das bunte Treiben ansehen und auch selbst etwas aufs Wasser, sondern habe mir auch wieder eine fotografische Aufgabe gestellt. Diesmal wollte ich das neue «kleine» […]
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!