Viele Fotografen, die die ersten Schritte mit der Video-Funktion einer digitalen Spiegelreflexkamera machen, sind enttäuscht. Was ist nur mit dem Autofokus los? Kameras, die mit dem gleichen Objektiv problemlos eine Möve im Flug mit 6–8 Bildern pro Sekunde verfolgen und scharf abbilden können, versagen plötzlich schon, wenn sie die Schärfe bei langsam bewegten Objekte während des Filmens nachführen sollen.
Wie kommt diese Diskrepanz nun zustande? Wie versprochen, möchte ich Euch heute einmal erklären, wie Autofokus-Systeme funktionieren und warum sich der Autofokus beim Filmen anders verhält, als beim Fotografieren.
Eigentlich gibt es «den» Autofokus in diesem Zusammenhang gar nicht, vielmehr finden wir in den modernen DSLR-Kameras zwei Autofokus-Funktionalitäten vor:
- den schnellen sog. «Phasen»-Autofokus – dieser kommt beim Fotografieren zum Einsatz
- einen so genannten «Kontrast»-Autofokus – dieser kommt beim Filmen zum Einsatz
Die Funktionsweise und Performance dieser zwei Systeme könnte kaum unterschiedlicher sein:
Funktionsweise des Phasen-Autofokus
Vereinfacht gesagt, wird beim Phasen-Autofokus das Bild über mehrere versetzt angeordnete Sensoren erfasst und anhand der Verschiebung der Bilder ermittelt in welche Richtung und wie weit fokussiert werden muss. Sind die Bilder deckungsgleich, befinden sie sich im Fokus.
Da hier nicht per «Trial-and-Error» gesucht werden muss, geht das Fokussieren in der Regel sehr exakt und schnell. Nachteile hat das System nur dann, wenn die Kalibrierung zwischen den Autofokus-Sensoren und den eingesetzten Objektiv nicht übereinstimmt. Dann kommt es zu den berühmt/berüchtigten Front- oder Backfokus-Syndromen. Ein «Pumpen», also das hin- und herfahren des Fokus beobachtet man nur, wenn die Kamera ein bestimmtes Motiv (z.B. spiegelnde Flächen) nicht scharfstellen kann.
Funktionsweise des Kontrast-Autofokus
Der so genannte Kontrast Autofokus macht das, was sein Name suggeriert. Er misst den Kontrast gerade aufgenommenen Bildes und verstellt den Autofokus so lange, bis dieser maximal ist. An der Stellung mit dem maximalen Kontrast ist das Bild scharf. So die Idee.
Nun, bringt dieses Verfahren leider einige Tücken mit sich. Veranschaulichen wir uns die Funktionsweise einmal an einem Bild:
Ganz oben seht ihr die jeweiligen Bilder, die die Kamera «sieht». Bild 1 und 5 sind ganz unscharf, 2 und 4 etwas schärfer und bei 3 ist das Bild im Fokus.
Anhand der Histogramme kann man schön den Kontrast erkennen. Je «breiter» das Histogramm eines Bildes, umso größer der Kontrast. Hier seht ihr deutlich die Korrelation zwischen Kontrast und Schärfe des Bildes.
Wenn ihr nun im Video Modus den Auslöser antippt, um zu fokussieren, passiert folgendes:
Der Sensor nimmt ein mehr oder weniger unscharfes Bild auf, da der Fokus in der Regel zunächst einmal daneben liegt. Nehmen wir einmal an, der Sensor nimmt Bild 1.) auf. Nun weiß die Kamera erst einmal nicht, ob das Bild scharf ist, oder nicht und sie weiß auch nicht in welche Richtung sie fokussieren müsste, falls dies erforderlich sein sollte. Es könnte also sogar passieren, dass sie den Fokus zunächst einmal noch weiter nach «links» stellt, in Richtung unschärfer. Sie würde dann nach kurzem Weg eine weitere Messung vornehmen und feststellen, dass der Kontrast noch weiter sinken würde. Nun hieße es umkehren und in die andere Richtung laufen.
Diesen Vorgang des Umkehrens der Autofokus-Richtung nennt man «Pumpen».
Im obigen Bild läuft der Autofokus nun zufällig nach «rechts» also in die Richtung des höheren Kontrasts und macht die nächste Messung bei Bild 2. Die Kamera stellt fest, dass der Kontrast größer ist und sieht die Richtung bestätigt. Ob Bild 2 schon das schärfste Bild ist, kann die Kamera nicht wissen.
Mit mehr oder weniger geschickten Algorithmen wird nun Extrapoliert, wie weit der nächste Schritt sein müsste, um möglichst wenig Messpunkte auf dem Weg zum optimalen Fokus anzufahren.
Von Bild 2 wird nun nach dem eben beschriebenen Algorithmus auf den Fokus von Bild 3 geschlossen und dieser angefahren. Wieder erfolgt die Kontrastmessung. Der Kontrast ist höher, als bei Bild 2. Wir sind also immer noch auf dem richtigen Weg. Ob Bild 3 schon das schärfste Bild ist, kann die Kamera nicht wissen. Sie extrapoliert also wieder und fährt den Autofokus weiter nach rechts zu Bild 4.
Bei Bild 4 angelangt ergibt die Kontrastmessung nun wieder einen geringeren Kontrast. Der Fokus ist über das Ziel «hinausgeschossen». Die Richtung wird wieder umgekehrt und mit einem Interpolationsalgorithmus auf eine Position weiter «links» geschlossen, in diesem Fall wieder Bild 3.
Die erneute Umkehrung des Autofokus erzeugt wieder ein «Pumpen».
Die Zeit und die Anzahl der «Pumpvorgänge» hängt von mehreren Faktoren ab:
- erstens vom Motiv – je kontrastreicher ein Motiv, um so besser
- zweitens davon, ob das Motiv sich bewegt und
- drittens von der «Intelligenz» der implementierten Algorithmen.
Problematisch wird dieses Verfahren nun insbesondere, wenn die Kamera nach dem eben beschriebenen Schema nun gar im Video ein bewegtes Objekt «verfolgen» soll. Stellt Euch einfach vor, dass sich die Bilder in dem Schaubild oben um eines nach rechts verschieben, so dass das scharfe Bild auf Position 4 liegt. Die Kamera weiß nun wieder nicht, ob sie von dem aktuellen Bild 3 nach «links» oder «rechts» fokussieren soll und das Spiel geht von vorne los.
Jedes Handy, fast jede Kompaktkamera und viele Videokameras nutzen dieses Verfahren für den Autofokus. Die Effekte hat jeder von uns schon einmal bewusst oder unbewusst beobachtet.
Wer ein Objektiv mit Ultraschallmotor hat, wird den akustischen Unterschied zwischen dem schnellen Phasen-Autofokus und dem Kontrastautofokus besonders deutlich bemerken, denn vom blitzschnellen Fokussieren ist bei der Kontrast-Messung nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, dem Motor wird insbesondere bei bewegten Objekten einiges abverlangt, weil er auf seinem Weg immer wieder für Bruchteile einer Sekunde anhalten muss um die Kontrastmessung zu ermöglichen.
Akustisch macht sich das durch ein ungesund klingendes Gestottere bemerkbar, das Fokussieren dauert deutlich länger. Das Pumpen ist darüber hinaus natürlich vorallem ein Effekt, der jede Video-Aufnahme zerstören kann.
Warum nutzen die Kameras dann nicht den Phasen-Autofokus auch für Video?
Nun, leider ist das in der Regel bei einer Spiegelreflex-Kamera technisch nicht möglich. Der schnelle Phasen-Autofokus ist nämlich nur verfügbar, wenn der Spiegel der Kamera unten ist und man durch den Sucher schauen kann.
Das liegt daran, dass das Licht über den Spiegel einmal oben in das Prisma (den Sucher) und einmal durch den teildurchlässigen Spiegel nach unten zum Autofokus-Sensor reflektiert wird.
In dem Moment, wo der Spiegel zum Auslösen, für Live-View oder Video hochklappt, sind sowohl Sucher als auch Autofokus «blind».
Im oberen Schaubild sieht man, dass der Spiegel unten ist. Licht fällt durch den Sucher und auf den Phasen-Autofokus. Der Sensor bekommt kein licht ab.
Im unteren Schaubild wurde ausgelöst oder der Live-View eingeschaltet. Der Spiegel ist nun hochgeklappt. Weder durch den Sucher noch auf das Autofokus-Modul fällt Licht. Das gesamte Licht fällt auf den Bild-Sensor, und das ist eigentlich auch gut so, denn da wollen wir ja möglichst viel Licht haben.
Beim Filmen oder beim Fotografieren im Live-View Modus kann die Kamera also nur den Bild-Sensor benutzen um scharf zu stellen. Und genau das tut sie über die Kontrastmessung! – Da haben wir also unseren Kontrast-Autofokus mit all seinen Nachteilen.
Quo vadis Live-View-Autofokus
Natürlich machen sich die Kamerahersteller Gedanken darüber, wie man dieses optische Dilemma umgehen kann. Ansätze bestehen darin, das Licht zum Bildsensor durch einen teildurchlässigen Spiegel zu lenken um einen geringen Anteil des Lichts auf den Autofokus zu bekommen. Allerdings büßt man dadurch Lichtstärke ein.
Canon hat hier bereits letztes Jahr Ansätze vorgestellt und Sony hat vor kurzem die ersten Digitalen Spiegelreflex Kameras mit semi-transparentem Spiegel auf den Markt gebracht.
Wohin die Reise geht? Wir werden sehen. Fakt ist, dass mit dem heutigen System die Video-Fähigkeiten der digitalen Spiegelreflex-Kameras, zumindest beim «Verfolgen» von schnell bewegten Objekten, eingeschränkt sind. Dass und wie man trotzdem tolle Videos machen kann, hatte ich ja schon einmal beschrieben und gezeigt.
Ich hoffe, ich konnte etwas Licht in dieses Thema bringen. Was denkt ihr – wohin wird die Reise gehen? Wird sich das System mit dem semi-transparenten Spiegel durchsetzen? Oder werden ganz anderen, womöglich völlig spiegellose Systeme die heutigen DSLR ablösen? Ich freue mich über Eure Kommentare!
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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