Wir werden verfolgt! (Teil 2)

15032008

Fort­set­zung von «Wir wer­den ver­folgt (Teil 1)»

Die Sicher­heit, ver­folgt zu wer­den, gibt den Aus­schlag. Ich muss han­deln. Mei­ne Hand umfasst das Pfef­fer­spray. Das wer­de ich natür­lich nur im äußers­ten Not­fall ein­set­zen, soll­ten wir wirk­lich ange­grif­fen werden. 

Wir befin­den uns immer noch in der schlauch­ar­ti­gen Gang­way zu den schwim­men­den Docks des Hafens von Man­aus. Wir sind unge­fähr auf der Hälf­te und ich weiß nicht, ob unser Ver­fol­ger sie schon betre­ten hat, da ich mich nicht umdre­hen will. So gehen wir also bis zum Ende, dort knickt die Über­füh­rung nach rechts ab, bevor sie in eine Art offe­nen Innen­raum mün­det, in dem, schräg unter uns, eini­ge Bars sind. Vor uns liegt majes­tä­tisch der Ama­zo­nas, der hier noch Rio Negro heißt.

Die Schwim­men­den Docks auf dem Rio Negro

Kurz vor der Mün­dung der Gang­way blei­be ich ste­hen und sage zu Dia­na «lass uns doch hier mal gucken». Dann leh­ne ich mich betont läs­sig an die Brüs­tung. Dia­na schaut zum Ama­zo­nas, ich genau ent­ge­gen­ge­setzt, näm­lich in die Rich­tung, aus der wir gekom­men sind.

Und da kommt er. Direkt auf mich zu. Für ihn muss das jetzt komisch sein. Sein «Opfer» steht da plötz­lich am Ende die­ses schma­len Gan­ges und erwar­tet ihn. Nein bes­ser: fixiert ihn.

Ich ste­he da näm­lich und schaue ihm genau in die Augen. Den Bruch­teil eines Augen­blicks haben wir Blick­kon­takt, dann schaut er schnell weg. Er bemüht sich red­lich, sich nichts anmer­ken zu las­sen und ver­mei­det jeden Blick­kon­takt. Er ver­mei­det ihn aller­dings so gründ­lich, dass es schon wie­der unna­tür­lich wirkt. Zumal ich ihn fixie­re wie eine Schlan­ge das Kaninchen.

Mein Signal ist ein­deu­tig: Kol­le­ge, ich habe Dich im Blick und weiß genau, dass Du etwas vor­hast. Ver­such es gar nicht erst. Psy­cho­lo­gisch hat sich das Blatt in die­sem Moment gewen­det. Jetzt ist er – wenn auch nur Psy­cho­lo­gisch – der Ver­folg­te. Mei­ne Stra­te­gie ist ein­fach, die Fra­ge ist nur, ob sie auf­geht: Ein selbst­be­wuss­tes Auf­tre­ten, ver­bun­den mit dem Augen­kon­takt der klar macht, dass er «ertappt» wur­de, soll aus dem ver­meint­lich schwa­chen Opfer einen star­ken Geg­ner machen.

Zwie­lich­ti­ge Gestal­ten und Klein­ga­no­ven wol­len in der Regel kei­nen Stress, sie suchen sich immer schwa­che, unauf­merk­sa­me Opfer aus, davon gibt es ja in der Regel über­all genügend.

Natür­lich ist das alles in der Theo­rie leicht gesagt. Jetzt, wo ich selbst in der Situa­ti­on bin, bin ich natür­lich extrem ange­spannt und habe natür­lich auch Angst. Das ist, bei all dem, was man über der­ar­ti­ge Groß­städ­te hört, glau­be ich, nur natürlich. 

Auf der ande­ren Sei­te den­ke ich auch, dass wir eine ree­le Chan­ce haben, dass die von mir gewähl­te Stra­te­gie auf­geht, falls es sich wirk­lich um einen Klein­ga­no­ven han­delt. Die Wahr­schein­lich­keit dafür ist groß, aber sicher kann ich mir da natür­lich nicht sein.

Als er an mir vor­bei ist, nimmt er sein Han­dy aus der Tasche und ruft jeman­den an. Jetzt sackt mir das Herz wirk­lich in die Hose. Na super. Womög­lich ruft er jetzt Ver­stär­kung? Wenn er noch ein oder zwei Leu­te zusam­men trom­melt, die am Aus­gang auf uns war­ten, dann sind wir gelie­fert. Denn hier sit­zen wir in der Fal­le. In einer Sack­gas­se. Es gibt nur einen Weg zurück, näm­lich den, den wir gekom­men sind – über die Gangway.

Wir gehen jetzt erst­mal ganz nor­mal wei­ter und bie­gen links ab zu den Docks.

Die schwimmenden Docks des Amazonas

Die schwim­men­den Docks sind genau das, was der Name sagt. Es sind schwim­men­de Anle­ge­stel­len für die Ama­zo­nas­schif­fe, die über im Win­kel ver­än­der­ba­re Ram­pen mit dem Land ver­bun­den sind und sich dem Niveau des Flus­ses anpas­sen. Der Ama­zo­nas erfährt zwi­schen Regen­zeit und Tro­cken­zeit ein Niveau­un­ter­schied von bis zu 14 Metern, da wird die Not­wen­dig­keit für die­se Maß­nah­me schnell deut­lich. Die Schwim­men­den Docks in Man­aus wur­den 1902 erbaut, sind 300 Meter lang und ste­hen heu­te unter Denkmalschutz.

Das ist alles schon beein­dru­ckend, aber lan­ge hal­ten wir es hier nicht aus. Ich bin immer noch sehr unruhig. 

Was ist, wenn der Typ wirk­lich Ver­stär­kung geholt hat? Kurz über­le­ge ich, ob wir uns viel­leicht ein­fach hier an eine der Bars set­zen soll­ten und so lan­ge blei­ben, bis er auf­gibt. Das Gan­ze ein­fach aus­sit­zen. Aber ein schnel­ler Blick auf die Uhr sagt mir, dass das kein guter Plan wäre. In einer Drei­vier­tel­stun­de ist es Dun­kel. Und das geht hier extrem schnell. Wir befin­den uns sehr dicht am Äquator. 

Der Gedan­ke gefällt mir über­haupt nicht. Im Dun­keln will ich auf gar kei­nen Fall mehr hier in der Stadt sein. 

Da wir auch noch den rich­ti­gen Bus suchen müs­sen, schla­ge ich Dia­na vor, dass wir uns auf den Weg machen soll­ten. Sie ist sofort ein­ver­stan­den, obwohl ich ihr von dem Typen immer noch nichts erzählt habe.

Wir gehen also wie­der auf die Gang­way zu, und zunächst sehe ich ihn nicht. Ich den­ke und hof­fe schon fast, dass er viel­leicht abge­hau­en seit, doch dann ent­de­cke ich ihn am ande­ren Ende der Über­füh­rung. Er steht da und spielt an sei­nem Han­dy her­um. Schei­ße. Jetzt müs­sen wir an ihm vor­bei. Was ist, wenn sei­ne Freun­de schon am ande­ren Ende auf uns warten?

Ich beschlie­ße, noch ein­mal aufs Gan­ze zu gehen und an die Tak­tik von vor­hin anzu­knüp­fen. Ich fixie­re ihn wie­der. Er schaut, sofort nach­dem er es bemerkt hat, wie­der auf sein Han­dy. Dies­mal ver­mei­det er jeden Blick­kon­takt. Ich schaue ihn wie­der unver­wandt an und wir gehen so selbst­be­wusst wie nur irgend­wie mög­lich an ihm vor­bei. Das Schwie­rigs­te kommt, als wir dann an ihm vor­bei sind. Ich darf mich jetzt nicht umdre­hen. Das wäre ein Zei­chen von Angst. Und die dür­fen wir nicht zei­gen. Also zwin­ge ich mich, mit klop­fen­dem Her­zen ein­fach wei­ter zu gehen bis wir aus der Gang­way her­aus sind und wie­der auf der Stra­ße. Jetzt beschleu­ni­ge ich den Gang und sage Dia­na, wir müss­ten schnell sehen, dass wir den Bus fin­den, es wer­de gleich dunkel.

Die Bus­sta­ti­on ist gleich gegen­über. Als wir wie­der im «siche­ren» Gemen­ge sind, dre­he ich mich end­lich um und schaue zu der Gang­way. Der Typ ist nicht zu sehen. In mir reift die Hoff­nung, dass wir gewon­nen haben. Puh. Jetzt aber schnell raus aus die­sem Wahnsinn.

Ich fra­ge ein paar Leu­te, wo der Bus abfährt. Kei­ner weiß es genau, alle deu­ten nur auf das Gewu­sel von Bus­sen, die stän­dig hier vor­bei fah­ren. Blöd ist, dass das hier offen­bar eine Ein­bahn­stra­ße ist und kein Bus in die Rich­tung fährt, aus der wir gekom­men sind. Kurz ent­schlos­sen, es wird wirk­lich gleich dun­kel, lau­fen wir den Weg zurück, den wir gekom­men sind. Wie­der an der Oper vor­bei, zurück zu der Hal­te­stel­le, aus der wir aus­ge­stie­gen sind. Ich bli­cke mich eini­ge Male um und bin mitt­ler­wei­le sicher, dass der Typ uns nicht mehr folgt. Ein Stein fällt mir vom Herzen.

Auch an die­ser Hal­te­stel­le ist Ein­bahn­stra­ße, das hat­ten wir vor­hin gar nicht bemerkt. Eine Frau erklärt uns, dass alle Bus­se eine gro­ße Schlei­fe durch das Zen­trum fah­ren. Das erklärt natür­lich eini­ges. Nach kur­zem War­ten kommt der Bus. Wir stei­gen ein und fah­ren – natür­lich – wie­der direkt am Hafen vor­bei. Das hät­ten wir auch ein­fa­cher haben kön­nen. Egal, die Haupt­sa­che ist, wir sit­zen sicher im Bus! Jetzt müs­sen wir «nur» noch die rich­ti­ge Hal­te­stel­le zum Aus­stei­gen aus­fin­dig machen. Das ist gar nicht so ein­fach, wie es sich anhört, denn es mitt­ler­wei­le stock­dun­kel und die Hal­te­stel­le hat kei­nen Namen.

Es ist wirk­lich schlag­ar­tig dun­kel gewor­den. Eine Däm­me­rung gibt es hier fast gar nicht. Nichts sieht mehr so aus wie vor­hin, als wir gekom­men sind. Immer­hin fah­ren wir quer durch eine Stadt mit 1,7 Mio Einwohnern.

Die Fahrt dau­ert fast eine hal­be Stun­de. Ich weiß noch, dass wir kurz nach dem Los­fah­ren durch einen Tun­nel gekom­men sind. Auf den war­ten wir. Und end­lich, als wir die Hoff­nung schon fast auf­ge­ge­ben haben, kommt der Tun­nel. Hier muss es jetzt gleich sein. Ja, da oben auf der Berg­kup­pe, das sieht irgend­wie bekannt aus. Wir zie­hen an der Lei­ne, die dem Fah­rer signa­li­siert anzu­hal­ten, und stei­gen aus. Noch zwei Blocks lau­fen wir und dann sind wir end­lich wie­der in der Pousada.

Was für eine Höllenstadt.

Abends erzäh­le ich Dia­na bei einem wirk­lich wohl­ver­dien­ten Bier von dem Typen. Sie sagt, sie habe am Anfang auch so ein komi­schen Gefühl gehabt, als ob uns jemand ver­fol­ge. Hin­ter­her habe sie sich dann ein­fach so unwohl gefühlt in dem Gemenge. 

Wir freu­en uns jetzt jeden­falls noch mehr auf die Ruhe und Abge­schie­den­heit, die uns ab mor­gen hof­fent­lich im Urwald erwar­tet! Mor­gen früh um 7:30 wer­den wir abgeholt… 

Wei­ter­le­sen: Die zwei Flüsse

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5 Kommentare bisher


  1. Rolf Hohmann 28. August 2019, 19:06   »

    Ein Freund von mir war mit sei­ner Fami­lie in Man­aus im Urlaub. Die waren ein paar Tage in der Stadt, haben nichts gefähr­li­ches erlebt. Sie sind auch abends durch die Stadt gebummelt.

  2. Wow, was für ein Kopf­ki­no! Eine ähn­li­che Situa­ti­on erleb­ten wir in Bre­mer­ha­ven, beim Geld zie­hen am Ban­ko­ma­ten. Zum Glück klär­te sich die bedroh­li­che Situa­ti­on nach ein paar Häu­ser­ecken und einem eben­so deut­lich «unver­wand­ten» Blick mei­ner­seits (gefällt mir der Begriff). Eine Selbst­be­wuss­te aber nicht über­trie­ben domi­nant wir­ken­de Kör­per­hal­tung hilft schon viel. Mei­ne Frau bemerk­te übri­gens auch nichts von dem gan­zen Vor­fall und woll­te sie eben­so nicht beunruhigen.

  3. Inter­es­san­te und span­nen­de Geschich­te, die auch ein wenig Angst macht. Sol­che Erleb­nis­se sind irgend­wo auch mit der Grund, war­um ich im Urlaub Groß­städ­te eigent­lich lie­ber mei­de. Ich habe jetzt noch kei­ne wei­te­ren Geschich­ten zu Bra­si­li­en hier gele­sen. Ich bin über den Rei­se­fo­to­gra­fie-Post hier­her gekom­men. Oft fra­ge ich mich, ob das Gese­he­ne (in der Stadt) den «Stress» denn wert war?

  4. Hi,

    die weib­li­che Intui­ti­on liegt sel­ten falsch. 

    Zitat: «Abends erzäh­le ich Dia­na bei einem wirk­lich wohl­ver­dien­ten Bier von dem Typen. Sie sagt, sie habe am Anfang auch so ein komi­schen Gefühl gehabt, als ob uns jemand ver­fol­ge. Hin­ter­her habe sie sich dann ein­fach so unwohl gefühlt in dem Gemenge.» 

    Fol­gen­des Buch kann ich empfehlen: 

    «The gift of fear» von Gavin de Becker
    http://www.amazon.de/The-Gift-Fear-Jun-01–1997-JUN-01–1997/dp/B00007MF53/ref=ntt_at_ep_dpt_1

  5. Hal­lo
    span­nend geschrieben.

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