Während wir den Encontro das Águas verlassen und mit dem Boot stromaufwärts fahren, haben wir Gelegenheit, zum ersten Mal den Amazonas in seiner majestätischen Breite wirklich auf uns wirken zu lassen. Jetzt wird uns noch einmal deutlich bewusst, dass wir den mächtigsten Fluss der Erde befahren. Das Flusssystem des Amazonas beinhaltet schließlich 1/5 des gesamten Süßwassers unseres Planeten.
Voller Vorfreude auf den Besuch des Regenwalds abseits der Millionenstadt, tuckern wir an dieser noch einmal in ihrer vollen Ausdehnung vorbei. Und so wie wir an Manaus vorbei fahren, ziehen auch die Bilder, die so gar nicht in unsere Vorstellung vom letzten großen Urwald der Erde passen wollen, an uns vorbei.
Eine Skyline von Hochhäusern inmitten des Dschungels…
Schwimmende Tankstellen, deren übergelaufenen Öl- und Benzinreste in den Fluss gespült werden…
Der Müll der Millionenstadt Manaus, der bei den täglichen heftigen Regenfällen in den Fluss gespült wird…
Qualmende, brennende Abfälle und Ölreste…
Der riesige Containerhafen, zum Abtransport der dem Wald entrissenen Schätze…
Raffinerien und ein Dieselkraftwerk, das den kompletten Strom für die 1.6 Millionen Stadt erzeugt…
Rostige, alte Tanker, die brach mitten im Fluss liegen und verrotten…
…wir können wirklich nicht sagen, dass unsere Stimmung gerade rosig ist!
Enrique, unser Guide, der uns die nächsten Tage im Regenwald führen wird, ist ein peruanischer Indianer, der vor ca. 15 Jahren seinen Stamm verlassen hat, um sich als Urwald-Guide in der Gegend von Manaus zu betätigen.
Während wir betrübt an der “großartigen” Kulisse dieser Stadt vorbeifahren, fängt er an zu erzählen. Was wir jetzt allerdings zu hören bekommen, entspricht so gar nicht dem, was wir von einem Nachfahren der Ureinwohner erwartet hätten.
Er erzählt darüber, welche großartige Entwicklung die Stadt genommen habe, die bei ihrer Gründung 1787 nicht mehr als ein Urwalddorf mit 300 Einwohnern war, sich 1970 bereits auf 300.000 Einwohner gesteigert habe um dann bis zum heutigen Datum auf 1,6 Mio. Einwohner anzuwachsen. Er fährt fort und erzählt über die wichtige wirtschaftliche Bedeutung von Manaus und des Amazonas für Brasilien und die Welt. Wie davon alle profitieren würden.
Die ganze Rede klingt so wenig glaubwürdig aus dem Munde eines Indianers, dass ich mir nicht verkneifen kann zu sagen: “außer der Natur, die profitiert nicht davon”.
“Ja” sagt er nachdenklich, da könne man aber nichts machen, das sei halt der Preis.
Ich schaue ihn fragend an.
Er wiederholt seine Aussage noch einmal. Dann fügt er an “das hat die Regierung so entscheiden, da kann man als Einzelner gar nichts dran ändern”.
Das Ganze kommt so resigniert und selbstaufgegeben aus seinem Mund, dass ich wirklich bestürzt bin. Er erzählt weiter, dass doch heute jeder die Möglichkeit haben wolle, zu studieren, und dazu auch Papier zum Schreiben benötige, und irgendwo müsse das doch herkommen!
Ich möchte herausschreien: ja sicher, aber doch nicht aus dem Amazonas! Nicht aus diesem letzten verbleibenden, einzigartigen Ökosystem! Es gibt doch auch andere Möglichkeiten, Papier herzustellen als diesen wunderbaren Lebensraum dafür zu opfern! Die Nachfrage nach Papier ist hier wohl auch nicht der entscheidende, zerstörende Faktor.Aber auch wenn seine Aussagen noch so indoktriniert wirken und ich ihm kein Wort von dem abnehme, was er da als “seine Meinung” ausgibt, halte ich mich als Europäer, und Bewohner der sogenannten 1. Welt erst einmal zurück mit besserwisserischen Aussagen. Ich sage erstmal nichts mehr zu dem Ganzen. Zweifelsohne würden nämlich die meisten Probleme hier nicht existieren, wenn nicht die Gier der restlichen Welt nach Edelholz, Fleisch und Gold so groß wäre.
Langsam, als er merkt, dass wir auf seiner “echten Seite”, auf der Seite der Natur sind, taut er auf und verlässt die einstudierten Pfade.
Bald erzählt er mit Wehmut davon, wie in den Urwald Kilometer lange Schneisen geschlagen werden, um an einen einzelnen wertvollen Baum zu kommen. Solche Einschläge hatten wir auch schon aus dem Flugzeug gesehen.Er fährt fort, dass die meisten wertvollen Bäume in den zugänglichen Gebieten, also überall am Rande des Flusses, am Rande der Transamazônica und im Umkreis von Manaus, schon längst abtransportiert seien. Vieles der heutigen zugänglichen Wälder sei schon Sekundärwald, also nachgewachsener Wald ohne die Jahrhunderte alten Urwaldriesen.
Die Zerstörung des Amazonas erfolge systematisch von verschiedenen Seite aus:
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Entlang der Verkehrswege Flüsse und Strassen, allen voran entlang der Transamazônica, die eine Schneise von Ost nach West bildet und südlich des Rio Amazonas durch den Urwald verläuft.
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Von Süden her, wo der Wald in einem wahnsinnigen Tempo brandgerodet wird um Platz für die Viehzucht und den Soja Anbau zu schaffen. Soja wird als Tierfutter in die ganze Welt exportiert. Seit dem Verbot der Tiermehlfütterungen ist die Nachfrage danach noch einmal explodiert.
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Konzentrisch von Manaus aus.
Lediglich zu 3.) gebe es eine einzige, kleine Gegenentwicklung und die sei, dass Manaus in den letzten 20 Jahren den Urwald-Tourismus für sich entdeckt habe und dies als kleine Bremse bei der totalen Zerstörung zumindest in dem entsprechenden Umkreis von Manaus wirke. Das sei aber nur ein Tropfen auf den «brennenden Wald».
So habe die Regierung immerhin vor einigen Jahren verboten, dass die Industrien ihre Abwässer in den Amazonas leiten, erzählt uns Enrico. Ein Problem, das allerdings nicht gelöst sei, sei das Müllproblem.Die Straßen von Manaus seien voller Müll (das hatten wir ja selbst schon bei unserem Stadtbummel gesehen). Da hier jeden Tag sinnflutartige Regenfälle herunter gehen, werde dieser Müll regelmäßig die Straßen herunter und direkt in den Fluss gespült.
Auch die Stromversorgung von Manaus sei problematisch. Der Strom für die Millionenstadt werde von riesigen Dieselgeneratoren produziert. Was für eine Ressourcenverschwendung, mag man denken. Andererseits: Was wären die Alternativen? Vor Jahren wurde einmal versucht, ein Wasserkraftwerk im Amazonasgebiet zu schaffen. Das Ergebnis war eine Katastrophe: Durch die Flachheit der Landschaft, wurde ein riesiges Gebiet geflutet, ohne, dass nennenswert Strom produziert werden konnte.Es handelt sich dabei um den Balbina-Stausee, ihm habe ich einen separaten Beitrag gewidmet:
Der Balbina Stausee – Saubere Energie durch Wasserkraft?
Ein Atomkraftwerk im Amazonas? Wohl auch keine Alternative. Windkraft scheidet aus Wind- und Platzmangel aus und Solarstrom würde wohl auch an dem Platzmangel und den Kosten scheitern. Also bliebe noch Holz – davon gibt es ja genug ;-/
Alles in Allem verfestigt sich durch dieses Gespräch bei uns noch einmal nachhaltig der Eindruck, dass diese Stadt hier einfach nicht hingehört.
Mit einem letzten Blick zurück auf die schwindende Skyline von Manaus unter der Smogglocke, möchten wir uns jetzt erstmal schöneren Dingen zuwenden, nämlich dem noch weitestgehend unzerstörten Amazonas. Dafür fahren wir mit dem Boot knappe 100km den Rio Negro Flußaufwärts.
Zum Abschluss noch ein Panorama des Rio Negro – mit Blick weg von Manaus, nach Westen.
Bitte klickt auf das Bild, um es groß zu sehen. Mit der unteren Scroll-Leiste könnt ihr das bild verschieben, und auch den Schließen-Knopf rechts erreichen, falls es zu breit ist.
Weiterlesen: Amazonas Impressionen – Igapós und Igarapés
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!
Hänge ich an der letzten Geschichte an.
@Cyron: Magst Du einmal ein paar Links auf die entsprechenden Foren hier posten, ich denke das könnte die anderen Leser auch interessieren!
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Über die Gründe der Zerstörung habe ich in http://www.gwegner.de/allgemein/wir-essen-amazonien-auf etwas geschrieben. Der Reisebericht geht in Kürze weiter, keine Sorge :-)
Noch einmal der selbe, um eine Email bei beantwortung zu bekommen…
Da hast du Recht. Aber ich diskutiere in verschiedenen Foren über die Grundlagen der Zestörung. Erschreckend ist wie vielen ihr Fleischkonsum, Wc-Papier, usw. egal ist. Hauptsache billig muß es sein.
Ich hoffe doch auf baltige Fortsetzung hier?
:)
An diesem Punkt muss ich zum ersten Mal sagen, dass die Bilder und deren Aussage nicht gerade schön sind. Wirklich traurige Einblicke! Diese Bilder sollten sich viele einmal zu Herzen nehmen! Guter Bericht! MFG, Manu! ;-)