«Juanes, was ist mit unseren Tickets?» immer wieder hatten wir den Rezeptionisten das an den letzten Tagen gefragt.
«Kein Problem, ich warte nur noch auf einen Rückruf» – so oder so ähnlich war die Antwort immer gewesen.
«Juanes, wenn das mit den Tickets nicht klappt, dann müssen wir jetzt sofort los, sonst schaffen wir unseren Flieger in Caracas nicht. Und selbst das wird schon knapp. Du hast Zeit bis nach dem Frühstück, um uns ein ‘Go’ zu geben, sonst lassen wir es!»
«Ja – ich ruf gleich nochmal an, versprochen. Macht Euch doch nicht so viele Sorgen, das klappt schon alles…»
Die letzten Tage sind wie im Flug vergangen. Ich sag mal so: mehr geht nicht. Perfektes Wetter, perfekter Wind, perfekte Bedingungen. Leckeres Essen, leckere Getränke.
Nach dem Frühstück stehen wir wieder vor Juanes.
«Und?»
«Ihr könnt die Tickets in Porlamar abholen – alles gut, habe ich Euch doch gleich gesagt!»
«Okay.» sagen wir. Heute nachmittag nach Porlamar zu fahren, ist ja kein Problem (wirklich nicht??).
«Wo müssen wir hin?»
«Hier», er schreibt eine Adresse auf einen Zettel, «ist die Adresse von dem Reisebüro. Die haben bis 17:00 auf, ihr könnt also heute nachmittag entspannt rüberfahren.
«Und Du bist sicher, dass die Tickets da für uns bereit liegen?»
«Ja klar, vertraut mir, ich habe alles organisiert!»
Das heißt also, dass wir heute Nachmittag nach Porlamar fahren. Wenn das wirklich alles klappt, dann sollte das doch problemlos machbar sein. Und es hat sogar den Vorteil, dass wir heute morgen noch aufs Wasser können. Wie es der Zufall will, haben wir nämlich genau bis heute Mittag noch das Material bei Chris gemietet – und heute Nachmittag sowieso nichts besseres vor. Wir können nur hoffen, dass das mit den Tickets dann auch wirklich klappt, sonst haben wir ein echtes Problem. Dann schaffen wir es nämlich nicht mehr rechtzeitig auf dem Landweg nach Caracas zu kommen.
Wir nutzen den letzten Vormittag noch einmal voll aus. Nico hat beim Kiten riesige Fortschritte gemacht, davon, dass er am Anfang der Woche noch Schwierigkeiten mit dem Höhe fahren hatte, merkt man nichts mehr. Im Gegenteil, seine Fortschritte sind beeindruckend. Mittlerweile übt er sich an Sprüngen und im Switch-Fahren, das heißt, dem umgekehrten Fahren auf der Zehenkante. Und auch mir hat die Zeit unheimlich viel gebracht. Ich versuche mich an ausgehakten Sprüngen, bei denen man den Kite, ohne mit dem Trapez verbunden zu sein, nur mit den Händen festhält. Vor Coche für mich auch noch undenkbar.
Um halb eins passiert dann das, was Nico auf jeden Fall vermeiden wollte: er muss das Fischerei-Rettungs-Team in Anspruch nehmen. Die Öse, mit der der Kite an seinem Trapez befestigt ist, der sogenannte Chickenloop, ist aufgegangen und der Schirm ist dadurch ins Wasser gefallen. Leider ist es bei diesem alten Modell nicht möglich, den Kite dann wieder alleine aus dem Wasser zu starten. Die Fischer sind sofort zur Stelle.
Als er wieder am Strand ist, packen wir zusammen, geben das Material ab und verabschieden uns wehmütig von diesem Traumspot. Wir gehen zurück ins Hotel – mit Juanes habe ich verhandelt, dass wir das Zimmer bis 14 Uhr haben können, damit wir noch duschen können. Und wie der Zufall will ist ja gerade Mittagszeit, also genehmigen wir uns auch noch ein Mittagsessen for free ;-)
Gegen 14 Uhr sind wir dann aber mit Sack und Pack am Strand und hoffen, ein Boot nach Margarita zu bekommen, das kann ja nicht so schwer sein. Wir haben von jetzt an genau 3 Stunden Zeit um nach Porlamar zu kommen und unsere Flugtickets abzuholen, denn um 17 Uhr macht das Reisebüro zu.
«Die Boote legen laufend ab» höre ich Juanes noch sagen.
Wir erkundigen uns am Strand ob denn einer von den Typen in den Booten in absehbarer Zeit nach Margarita führe. Das Boot von unserem Hotel fährt um vier, erfahren wir. Ein anderes um halb vier. Tja, was tun? Wir können ja nur warten. Um die Zeit zu überbrücken gehen wir zu der zu unserem Hotel gehörigen Strandbar und genehmigen uns jeder erstmal zwei Biere. Unsere All-Inclusive-Bänder haben wir ja noch. :-)
Aber je länger wir warten um so nervöser werde ich. Halb vier. Das sind nur eineinhalb Stunden. Das ist verdammt knapp. Lass irgendetwas dazwischen kommen. Ich gehe noch einmal zu den Bootsführern, die bei ihren Booten herzumsitzen und erkundige mich, ob es noch eine andere Möglichkeit gäbe. Tatsächlich erfahre ich, dass in San Pedro stündlich ein Boot abläge. Der Ort liegt etwa 2 km strandabwärts. Sollen wir da hingehen? Immerhin besser, als hier rumzusitzen, auch wenn es hier leckeres Bier gibt…
Wir machen uns also mit unseren Rucksäcken auf den Weg, immer den traumhaften Strand entlang. Mit vollem Marschgepäck in sengender Hitze durch den knöcheltiefen Sand zu stapfen schlaucht schon etwas. Als wir dort sind, ist es 14:30 und wir erfahren, dass das nächste Boot doch erst um 15:30 fährt. So ein Mist.
Hier am Hafen erleben wir wieder Venezuela pur. In einer halben Stunde erst, macht der Ticket Counter auf. Aber bereits jetzt sind Leute hier und stehen in einer minütlich wachsenden Schlage. Für die umgerechnet 1€50, die das Ticket kostet, warten sie eine Stunde. Wie bei allen Käufen in Venezuela muss auch für den Kauf eines Tickets ein Ausweis vorgezeigt werden und die Ausweisnummer wird vom Verkäufer fein säuberlich notiert.
Jetzt, endlich, erscheint ein Boot – das Boot – in der Hafeneinfahrt. Als wir es sehen, wird uns schlagartig klar, dass wir einen Fehler gemacht haben. Mit dem Kahn sind wir definitiv nicht in 20 Minuten auf Margarita. Ganz bestimmt nicht.
Zumal es ja auch erst um 15:30 ablegt. Das ist in erst in einer halben Stunde. Das Schnellboot bei unserem Hotel legt auch um 15:30 ab. Und mit dem sind wir definitiv sehr viel schneller da.
„Nico, es war eine Scheiß-Idee, hier her zu kommen. Ich weiß, wir sind gerade erst mühsam hergelaufen, und das hört sich jetzt doof an: aber wir haben nur eine Chance: Wir müssen ein Taxi zurück zum Hotel nehmen!“
Nico ist einverstanden. Zum Glück gibt es sogar in diesem Nest ein Taxi. Wir springen rein. „Coche Paradise“ sage ich, und er der Fahrer fährt los.
Ich habe ein Deja-Vu. Wieder stehen wir am Strand vor dem Hotel. Mittlerweile ist es 15:15. Nico fragt: „Bier?“ „Nee…“ sage ich, lass mal gut sein. Mir ist gerade nicht danach. Ich stehe unter Hochspannung.
Diese ganze Runde hätten wir uns also auch sparen können. Warum erzählt und Juanes denn um alles in der Welt, dass hier ständig Boote fahren? Hoffentlich ist das mit den Flugtickets nicht genau so eine Ente!
Um 15:30 legt das Boot dann zum Glück wenigstens pünktlich ab. Wir rechnen mit einer halben Stunde Überfahrt. Danach, haben wir uns überlegt, wollen wir unsere Rucksäcke kurz in die Posada in El Yaque bringen, in der wir letztes Mal übermachtet haben, und dann so schnell wie möglich mit einem Taxi nach Porlamar fahren, zu dem Reisebüro.
Immer stärker wird uns bewusst, wie knapp das jetzt alles wird. Wie wir bei unserem letzten Porlamar-Besuch erfahren haben, fahren diese kleinen Schnellboote nämlich nicht nach El Yaque, sondern nach La Isleta, einem Ort auf der anderen Seite der Bucht von El Yaque. Das heißt für uns, dass wir dort schon das Taxi nehmen müssten, mit dem Taxi an der Posada vorbeifahren und dann weiter nach Porlamar fahren müssten. Je öfter ich diesen Zeitplan in meinem geistigen Auge vor mir ablaufen lasse, um so unrealistischer erscheint mir, dass wir nur die geringste Chance haben, an unsere Tickets zu kommen. Zur Not müssen wir riskieren, mit unserem gesamten Gepäck nach Porlamar reinzufahren und die Pousada auszulassen. Aber genau das wollten wir eigentlich wirklich gerne vermeiden. Es wäre mehr als ärgerlich, wenn jetzt auf der Zielgerade noch etwas passieren würde.
Als ich Nico gerade auch noch diese Hiobsbotschaft überbringen will, fällt mir auf, dass wir gar nicht nach la Isleta fahren. Ich kann meinen Augen kaum trauen: Das Boot steuert El Yaque direkt an!
„Nico, siehst Du, was ich sehe?“
„Was denn?“
„Na, guck doch mal wo wir hinfahren!“
„El Yaque?“
„Jaa!! El Yaque!“
16:05 – Ich kann es erst kaum glauben, aber dann ist es sicher: Wir kommen diekt in El Yaque an! Es hat sich doch noch nicht alles gegen uns verschworen. Kaum hat das Boot gestoppt, springen wir schon raus und joggen mit unseren Rucksäcken zu der Pousada, die zum Glück nicht weit entfernt ist.
16:15 – Wieder ist keiner da, aber das kennen wir ja schon. Wir schauen uns an. Dann gehen wir schnurstracks zu dem Schrank, Nico wirft seinen Rucksack wieder dahinter und ich meinen in den Spalt daneben, dann verschwinden wir wieder. Soll er doch meckern!
Jetzt nur noch schnell ein Taxi finden. Natürlich steht hier keines rum und wartet auf uns.
„Los, wir müssen in den Ort rein, wenn, dann gibt es da Taxis!“
„Ja los!“
16:25 – kurz bevor wir das Zentrum von El Yaque erreichen, fährt ein Taxi an uns vorbei.
„Halt, Taxi!!“ rufen wir. Der Fahrer bremst. Wir springen rein.
„Porlamar. Rápido.“ Ich krame den Zettel mit der Adresse raus. Ich lese sie dem Fahrer vor, der sich schon in Bewegung gesetzt hat.
„In welchem Stadtteil?“ fragt er auf Spanisch.
„Keine Ahnung?!“
„Centro?“
Was weiß ich?? Das hat uns keiner gesagt. Er sagt jedenfalls auch nichts mehr, sondern fährt. Wir können nur hoffen und auf unser Glück vertrauen.
Zick-zack führt uns unser Weg durch die Vororte von Porlamar. Weiß der wo er langfährt?? Immer wieder schaue ich auf die Uhr. 16:45. Das wird knapp… 16:50.
Der Fahrer sagt den Namen der Straße. Ich sage nochmal die Hausnummer. Er schaut sich suchend um. Plötzlich sehe ich ein Krankenhaus. Hatte Juanes nicht etwas von „gegenüber des Hospitals gesagt“? Ich schaue zur anderen Straßenseite. Ja! Dort sehe ich das Logo des Reisebüros!
„Aqui!“ sage ich, gebe ihm schnell einen Schein und dann springen wir aus dem Taxi und hasten die Stufen zu dem Eingang hoch. Mit Schwung will ich die Tür aufdrücken, aber sie ist zu. „Was zum…“ aber dann sehe ich die Klingel. Ich drücke, schaue nochmal auf die Uhr. 16:55. Dann erklingt der erlösende Klang des Summers. Wir hasten die Treppe hoch und finden uns nach dem Öffnen einer weiteren Tür in einem großen Büro wieder. Wir platzen im wahrsten Sinne des Wortes dort hinein. Die Angestellten sehen uns an.
Es gibt 4 Schalter und eine Kasse. Zwei der Schalter sind besetzt, wir steuern einen der freien an. Kaum stehen wir da, geht einer der Mitarbeiter auf die Tür zu, schaut auf die Uhr, und schließt sie von innen ab. Punkt 17:00.
Puh. Das war wirklich knapp!
„Wir haben über das Hotel ‚Brisas del Mar‘ zwei Tickets nach Caracas für morgen früh gebucht.“
Die Dame hinter dem Schalter zieht eine Mappe mit allen möglichen Formularen hervor und blättert darin herum. Ich nenne unsere Namen.
Sie blättert und blättert. Sollte uns Juanez etwa doch…?!
Endlich zieht sie ein Formular hervor und reicht es uns. Wir sehen unsere Namen darauf. Puh!! Hat sie den Stein gehört, der mir gerade vom Herzen gefallen ist?
Das Ausstellen der Tickets dauert dann trotz bereits abgeschlossener Tür über eine halbe Stunde und beschäftigt 5 Personen. Obwohl außer uns kein Kunde mehr in dem Büro ist, muss ich sogar einen Zettel für die Kasse ziehen und werde dann aufgerufen. Gut, es ist ja nicht mein Feierabend! Und sowieso – das ist mir so egal! Hauptsache wir bekommen unsere Tickets!
Unschön ist allenfalls, dass die Tickets nicht, wie von Juanes kommuniziert, 99.000 Bvs kosten, sondern 150.000 Bvs. pro Person. Aber uns bleibt ja sowieso keine Wahl. Wir sind heilfroh, dass das hier überhaupt alles klappt.
Nicht auszudenken, wenn das Boot in La Isleta angekommen wäre. Dann hätten wir es definitiv nicht geschafft.
Um halb sechs verlassen wir den Laden, zwei Tickets nach Caracas in der Tasche.
Die Anspannung fällt von uns ab. Wir suchen noch ein Shopping-Center auf, um unsere letzten Bvs los zu werden. Wir kaufen Rum und ein paar Kekse für die Fahrt (also die Kekse für die Fahrt, den Rum für zuhause :-)). Eine interessante Erfahrung ist wieder das Bezahlen im Supermarkt: alle Kunden müssen ihren Ausweis zeigen und die Ausweisnummer wird im Computer erfasst. Wir erfahren, dass ein Gesetz vorschreibt, dass bei jeder Faktura in Venezuela die ID des Käufers erfasst werden muss. Dagegen sind ja unserer Pay-Back Systeme echt harmlos!
Danach fahren wir zurück nach El Yaque und zu der Pousada. Diesmal nehmen wir die Rucksäcke ohne großes Aufheben aus ihren Verstecken, klingeln bei dem Posada-Chef und lassen uns ein Zimmer geben. Bei dem haben wir ja noch was gut. Das klappt diesmal dann auch erstaunlich problemlos, auch wenn wir nicht das tolle Zimmer vom letzten Mal haben, sondern ein winzig-kleines, stickiges voller Moskitos. Nach diesem Abenteuer und dem Glück, das wir heute gehabt haben, ist uns das aber völlig egal!
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