Tortuguero hat nicht nur eine einzigartige Flora und Fauna in den umliegenden Wäldern zu bieten, nein, auch der Ort als solches ist sehr idyllisch. Auf einer schmalen Landzunge zwischen Karibischem Meer und dem Kanal von Tortuguero gelegen, bietet das Dorf eine sehr heimelige Atmosphäre. Da es gänzlich vom Massentourismus verschont ist und auch keine Autos fahren, fühlen wir uns in ein vergangenes Jahrhundert zurückversetzt.
Wenn man eine Zeit lang hier ist, trifft man schnell immer wieder auf bekannte Gesichter. Die Menschen gehen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Es gibt einen Bäcker, einige Bars, einige kleine Einkaufsläden. Kinder kommen in ihren Schuluniformen vom Unterricht, Menschen streichen ihre Zäune. Ein ganz normaler Ort – aber nicht aus unserer Zeit. Uns gefällt die hier gelebte Langsamkeit und Ursprünglichkeit sehr.
Nach unserem fantastischen morgendlichen Ausflug mit dem Elektroboot in die umliegenden Kanäle, nutzen wir nun die Mittagszeit, um den Ort zu erkunden und endlich auch unsere Füße auf den karibischen Strand zu stellen.
Am Anleger steht ein einheimischer Junge und verkauft Kokosnüsse. Diana und ich lassen uns jeweils eine aufschlagen und schlendern damit zum Strand.
Der Karibische Strand, den man über mehrere kleine Stichwege vom Ort aus erreichen kann, ist hier eher wild und unbändig. Nicht die Postkarten-Idylle, die Menschen sich landläufig ausmalen, wenn sie Karibik hören. Hier gibt es einen ordentlichen Shorebreak, Wasservögel picken Krebse aus den ablaufenden Wellen und die Hinterlassenschaften des lezten Orkans sieht man auch noch auf dem Strand liegen.
Zwar kein Badeparadies (die hier vorherrschenden Strömungen sind mehr als tückisch) aber ein sehr schöner Naturstrand. Uns gefällt es. Wir denken an die Schildkröten, die alljährlich zur Eiablage durch diese Brandung müssen und dann zu tausenden den Strand Tortugueros als Brutstätte nutzen. Die kleinen haben es dann, wenn sie geschlüpft sind, noch schwerer. Gegen die Wellen und die allzeit präsenten Fressfeinde müssen sie sich ins offene Meer vorkämpfen. Nur ein Bruchteil von ihnen schafft es und trägt dazu bei, ihren Bestand zu sichern. Wenigstens sind die Menschen hier in Tortuguero darauf eingestellt und beschützen die Schildkröten so gut es geht gegen menschliche Feinde.
Derzeit ist nicht die Jahreszeit für Schildkröten-Beobachtungen, die Eiablage erfolgt zwischen Juni und Oktober und die kleinen Schlüpfen nach etwa 2 Monaten. Ohnehin sind wir der Meinung, dass man die Schildkröten am liebsten ganz in Ruhe lassen sollte.
Nachmittags folgen wir einer Empfehlung Daryls und unternehmen mit seinem Freund Ross eine Wanderung durch die angrenzenden Wälder.
Ross ist, wie Daryl, Biologe und kennt sich ebenfalls hervorragend in der Natur aus. Mit von der Partie sind noch Doris und André, zwei deutsche Traveller, die – wie wir – in der Casa Marbella abgestiegen sind.
Eine der Regeln, die man beachten muss, wenn man zu Fuß in den Nationalpark möchte, ist, Gummistiefel anzuziehen. Daryl hat einige vorrätig – allerdings natürlich nicht in Größe 46. So quetsche ich mich also in Stiefel der Größe 44 und sehe tapfer dem Nachmittag entgegen.
Diesmal betreten wir den Nationalpark zu Fuß und müssen unsere Tickets zeigen. Daryl hatte sie schon heute morgen für uns besorgt, der Eintritt kostet 10$ und gilt für den ganzen Tag.
Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit haben wir Glück und bekommen – auch dank Ross’ Spürsinn – eine Menge Tiere und exotische Pflanzen zu sehen.
Affen, Tucanos und unzählige weitere Vögel sehen wir, dazu Spinnen, Einsiedlerkrebse, riesige Blattschneideameisen und viele weitere. Immer wieder beobachte ich, wie Ross Baumstämme in ein bis zwei Metern Höhe absucht. Ich spreche ihn darauf an.
«Suchst Du etwas bestimmtes?»
«Ja, ich suche die giftigste Schlage dieser Wälder. Die Eye-Lash-Viper heißt in Costa Rica «Bocaracá». Es gibt sie in unterschiedlichen Farben und sie sind nicht sehr groß, oft nur 30–40 cm lang, maximal 75cm. Man erkennt sie an ihren Fortsätzen über den Augen, sie sehen aus, wie Wimpern (eye-lashes). Man kann sie nur sehr schwer entdecken, denn sie tarnen sich und sehen fast aus wie die Borken der Bäume. Das macht sie auch so gefährlich. Denn ein Biss genügt, um ganze Gliedmaßen zu lähmen. Oft bleibt nur die Amputation.»
«Oh..» sage ich. «Dann zeig uns mal eine, wenn Du sie findest…»
Wir gehen weiter. Diana ist ganz in ihrem Element. Auf der Suche nach Tieren, die sich hier gut getarnt verstecken, lässt sie sich etwas zurück fallen und ruft plötzlich:
«Gunther – komm schnell, hier ist eine große Schlange!»
Ich eile mit der Kamera zurück und in der Tat – zwischen einigen Schlingpflanzen schlängelt sich eine etwa 2 Meter lange Green Vine Snake entlang und über unseren Pfad. Schnell kann ich noch einige Bilder machen, bevor sie entschwindet.
Ross ist jetzt noch motivierter, endlich eine Eye-Lash-Viper zu finden.
Aber erst einmal machen wir einen Abstecher zum Strand, der nicht weit von unserem Weg verläuft. Wie schon weiter oben ist er auch hier wild und ursprünglich.
Auf dem Rückweg winkt Ross uns dann plötzlich aufgeregt zu sich.
«Ich habe eine!» freut er sich.
«Wo» fragen wir wie aus einem Mund, denn wir sehen nur einen Baum mit einer schrumpeligen Rinde.
«Hier!» sagt er und zeigt auf eine Stelle in Oberkörper-Höhe.
«Oh ja – die ist ja wirklich gut getarnt!» sagt Diana.
Ich habe schon das Makro gezückt um die Schlange abzulichten, da sagt Ross:
«Komm ihr ja nicht zu nahe, zum nächsten Krankenhaus sind es ein paar Stunden!»
«Okay» – beruhige ich ihn… Aber die Bilder brauche ich trotzdem. ;-)
Kurze Zeit später findet er noch eine.
«Es gibt sie in den unterschiedlichsten Farben!» sagt Ross, «Gelb, Braun, Rot, Grün – sogar pinke Exemplare wurden schon gesehen.»
Wir gehen weiter. Meine Füße tun mittlerweile bei jedem Schritt weh. Ich wusste gar nicht, dass Gummistiefel sooo unbequem sein können!
Sobald wir den Nationalpark verlassen haben, reiße ich sie mir von den Füßen und laufe barfuß durch die Erdstraßen des Ortes. Was für eine Erleichterung!! Wer ist nur auf diese bescheuerte Idee gekommen? Gegen Schlangen wären auch unsere Wanderschuhe ausreichend. Als ich Ross nach dem Grund für die Gummistiefel-Regel frage, schüttelt er nur resigniert den Kopf… Er muss sich das fast jeden Tag antun!
Zurück in der Casa Marbella laden wir Ross auf ein kühles Bier ein, wir hatten Mittags etwas besorgt und in der Pousada kalt gestellt. Aber er winkt ab:
«Danke, danke – ich setze mich gerne zu Euch, aber das Bier trinkt ihr schön selbst!»
«Warum das denn?»
«Ich bin hier in der Karibik – ich trinke Rum. Wenn ihr kurz wartet, dann besorge ich welchen!»
«Oh – warte», sage ich, «ich komme mit.»
Gemeinsam gehen wir zu einem der kleinen Einkaufsläden, die es hier in Tortuguero gibt. Dort gibt es alles, was die Einheimischen für ihr tägliches Leben brauchen.
Ross geht direkt zur Kassiererin und lässt sich eine kleine Flasche Rum aus Nicaragua geben.
«Der ist besser, als unser Einheimischer.» sagt er und zwinkert der Kassierin zu.
«Wir nehmen zwei» sage ich auf Spanisch. «ich zahle das zusammen.»
Ross bedankt sich und wir machen uns auf den Rückweg zur Posada, wo Diana, Doris und André schon warten. Wir setzen uns in die nun schon tief stehende Sonne und genießen den herrlichen Ausblick über den Kanal.
Ross erzählt uns von dem einfachen Leben in Tortuguero und wie er es kennen und lieben gelernt hat. Nach seinem Studium ist er aus Canada ausgewandert und hat in Costa Rica eine Forschungsstation nördlich von Tortuguero geleitet. Später dann hat er sich aus dem wissenschaftlichen Trubel zurückgezogen und verdingt sich seit dem als Guide hier in Tortuguero.
Trotz aller Entbehrungen und der Tatsache, dass er kein festes, regelmäßiges Einkommen hat, kann er sich für kein Geld der Welt vorstellen, das Leben, dass er heute als Touristen-Guide hier in aller Entspannung führt, gegen ein anderes zu tauschen.
Auch wenn Tortuguero nach den Maßstäben Vieler eine sehr entlegene Ecke sein mag: auch wir fühlen den Zauber dieser Einsamkeit und Abgeschiedenheit und stellen uns einmal mehr die Frage: brauchen wir den ganzen Luxus, den wir Zuhause haben wirklich, um glücklich zu sein? Oder ist nicht weniger manchmal mehr… Wenn wir die vielen gut gelaunten Menschen hier sehen, die so wenig haben und doch so zufrieden wirken, dann können einem da schon begründete Zweifel kommen.
Abends lassen wir uns von Ross eine gute, einheimische Bar empfehlen, in der wir etwas essen wollen. Wir entscheiden uns für «Miriana» und essen eine lokale Spezialität – Huhn mit Kokossoße und dem allgegenwärtgen «Pinto» – Reis mit Schwarzen Bohnen. Sehr lecker!
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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