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Bildgestaltung mit Schärfeverlauf und Perspektive – Diana lernt Fotografieren! – Folge 3

Wie kom­me ich denn nun von einem Schnapp­schuss zu einem guten Foto? – Bild­kom­po­si­ti­on und Bildaufteilung

Nun, da wir die tech­ni­sche Aus­stat­tung und die Grund­la­gen der Kame­ra­be­herr­schung bespro­chen haben, wol­len wir uns heu­te ein­mal das eigent­lich wich­tigs­te The­ma in der Foto­gra­fie vor­neh­men, näm­lich die Bildgestaltung!

Für mich stellt sich doch noch häu­fig das Pro­blem, das ich ein tol­les Motiv sehe, von dem Foto aber dann doch etwas ent­täuscht bin. Und das liegt nicht an der Kame­ra, und auch nicht an den Ein­stel­lun­gen. Ich den­ke, dies­be­züg­lich habe ich mitt­ler­wei­le eine Men­ge geübt und mit den Tipps aus den ers­ten bei­den Fol­gen alles rich­tig gemacht. Mei­ne Fotos sind auch rich­tig belich­tet – trotz­dem fehlt oft das gewis­se Etwas. Daher möch­te ich Gun­ther heu­te ein­mal dazu löchern.

Neu: Diana lernt Fotografieren – als Buch oder E‑Book!

Voll­stän­dig über­ar­bei­tet, der kom­plet­te Work­flow von der Aus­wahl der rich­ti­gen Kame­ra bis hin zur Bear­bei­tung und Orga­ni­sa­ti­on der Bil­der am Rech­ner. Drei­mal so umfang­reich wie die alte Online-Serie!

Dia­na: Ich sag’s mal ganz platt – wie kom­me ich von einem Schnapp­schuss zu einem tol­len Foto? :-)

Gun­ther: Uff – das ist aber eine schwie­ri­ge Fra­ge, die nicht in einem Satz zu beant­wor­ten ist. Viel­leicht hat es des­halb auch so lan­ge gedau­ert von der letz­ten zu die­ser Fol­ge, ich habe mir ja schon gedacht, was Du auf dem Her­zen hast… :-)

Dia­na: Ja – und jetzt hab’ ich Dich. Na komm, fang mal am Anfang an!

Gun­ther: Nun, ich den­ke ein Patent­re­zept gibt es da nicht. Und kann es auch nicht geben. Denn wir ver­las­sen mit die­ser Fra­ge­stel­lung nun ja den Bereich der Tech­nik und nähern uns den künst­le­ri­schen Aspek­ten. Und da hat natür­lich jeder, ob Anfän­ger oder Fort­ge­schrit­te­ner, ob Foto­graf oder Betrach­ter sei­ne eige­nen Vor­lie­ben und sei­nen eige­nen Geschmack. Was dem einen gefällt, gefällt dem ande­ren nicht – und umge­kehrt. Und genau­so, wie man schwer die Fra­ge beant­wor­ten kann «Erklä­re mir mal, wie man einen van Gogh malt» ist es auch schwer zu erklä­ren, wie man ein gutes Foto macht.

Dia­na: Jetzt red Dich nicht raus – wenn es jeder erklä­ren könn­te, müss­te ich Dich ja nicht fra­gen ;-) Erklär’ mir jetzt bit­te mal, wie man ein gutes Foto macht – abseits der tech­ni­schen Aspek­te! Ich will das auch können!

Gun­ther: Okay, ich will es mal ver­su­chen. Ich wer­de Dir ein paar «Bau­stei­ne» an die Hand geben, mit denen Du arbei­ten kannst. Zusam­men­set­zen musst Du sie dann selbst – nur so fin­dest Du Dei­ne eige­ne Bild­spra­che und machst «Dei­ne» Bilder.

Dia­na: Super, bin ganz gespannt!

Gun­ther: Also, ein ganz wich­ti­ger Aspekt, den Du beim Foto­gra­fie­ren nie ver­ges­sen darfst, ist, dass Du die drei­di­men­sio­na­le Wirk­lich­keit in einem zwei­di­men­sio­na­len Foto abbil­den möch­test. Dabei geht natür­lich viel ver­lo­ren. Erin­nerst Du Dich an Kor­si­ka? Dort stan­den wir nach einer anstren­gen­den Wan­de­rung oben auf dem Berg, genos­sen die wahn­sin­ni­ge Aus­sicht, fühl­ten uns fan­tas­tisch und die Wei­te war ein­fach unvor­stell­bar. Eine Wahn­sinns-Aus­sicht. Und kannst Du Dich an das Foto erinnern?

Die­ses Bild gibt nicht ein­mal annä­hernd die Rea­li­tät wieder.

Dia­na: Ja, es gab eigent­lich nichts von dem wie­der, was wir emp­fun­den haben, son­dern wirk­te langweilig.

Gun­ther: Genau – da eigent­lich so gut wie alles fehl­te, was für uns dort oben die Fas­zi­na­ti­on aus­mach­te. Die kla­re Luft, der Geruch nach Mac­chia, das Geräusch des Win­des sind dabei nur die offen­sicht­lichs­ten! Auf die müs­sen wir natür­lich beim Foto ver­zich­ten. Aber es gibt noch mehr: die Tie­fe, die Drei­di­men­sio­na­li­tät fehlt dem Foto. Unser Gehirn emp­fängt in der Rea­li­tät Infor­ma­tio­nen von bei­den Augen, die in der Regel eini­ge Zen­ti­me­ter von­ein­an­der ent­fernt lie­gen. Die­ser Ver­satz reicht aus, damit das Gehirn dar­aus ein Bild mit «Tie­fe» errech­nen kann. Das ist aber noch nicht alles. Dazu kommt, dass unser Kör­per und Kopf fast immer in Bewe­gung ist. Das heißt, bei­de Augen neh­men stän­dig die Umwelt aus leicht unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven wahr. Auch die­se Infor­ma­tio­nen nutzt das Gehirn, um die Umge­bung räum­lich wahr­zu­neh­men. Und zu guter Letzt wan­dert der Blick unbe­wusst stän­dig umher und fokus­siert auf unter­schied­li­che Stel­len, so dass die Schär­fe­ebe­ne wan­dert. Auch beim Auge ist es ja so, dass der Bereich, auf den es fokus­siert scharf ist und dahin­ter und davor das «Bild» unscharf wahr­ge­nom­men wird.

Dia­na: Stimmt, aber das kann ich mit der Kame­ra ja auch! Das habe ich mir gemerkt und schon umge­setzt: Blen­de auf, dann wird das, wor­auf ich fokus­sie­re scharf und der Rest unscharf.

Gun­ther: Genau, von all den eben auf­ge­zähl­ten Fak­to­ren, die in unse­rem Gehirn zum gesamt­heit­li­chen «Bild­emp­fin­den» zusam­men­ge­setzt wer­den, ist die­ser Schär­fe­ver­lauf eine der wich­tigs­ten Tech­ni­ken, die wir für ein Foto nut­zen kön­nen, um direkt Drei­di­men­sio­na­li­tät zu simu­lie­ren. Indi­rekt gibt es noch wei­te­re Tricks, zu denen kom­men wir dann später.

Um mit einem Schär­fe­ver­lauf arbei­ten zu kön­nen, benö­ti­gen wir aller­dings auch eine Sze­ne mit einer ent­spre­chen­den Tie­fen­staf­fe­lung. Das heißt, wir benö­ti­gen vor allem einen Vor­der­grund! Der Hin­ter­grund ist in der Regel sowie­so auto­ma­tisch da. Weißt Du noch letz­te Woche in Ham­burg, wo wir die «Tou­ris» beob­ach­tet haben, die mit aus­ge­streck­ter Kom­pakt­knip­se die Elb­phil­har­mo­nie foto­gra­fiert haben?

Dia­na: Hehe, das war lus­tig. Die haben alle das glei­che Bild gemacht.

Gun­ther: Ja, das lag aber nicht dar­an, dass sie eine Kom­pakt­knip­se benutzt haben, son­dern, das lag vor allem dar­an, dass sie kei­nen Vor­der­grund im Bild hat­ten. Dadurch sehen die Bil­der alle gleich aus. Und alle flach. Es ist völ­lig egal, ob der Tou­ri zwei Meter wei­ter links oder rechts steht. Die Attrak­ti­on steht im Mit­tel­punkt – sei es die Elb­phil­har­mo­nie, sei es der Eif­fel­turm oder das Bran­den­bur­ger Tor – jeder hat sie schon gese­hen und foto­gra­fiert. Hier etwas Beson­de­res zu machen, erfor­dert mehr, als nur die Arme aus­zu­stre­cken und abzu­drü­cken. Es geht dar­um, ein Bild zu «Kom­po­nie­ren» – also selbst und aktiv zu gestalten.

Dia­na: Naja, die Elfi ist ja schon da – zumin­dest so gut wie – viel zu Gestal­ten gibt’s da ja nicht mehr… Gun­ther: Wer weiß… :-) – aber ich mei­ne auch nicht das Gebäu­de als sol­ches – son­dern unser Bild. Und das kann sich ja aus ver­schie­de­nen Ebe­nen zusam­men­setz­ten. Die Hin­ter­grund­ebe­ne ist hier gesetzt – näm­lich die Elb­phil­har­mo­nie. Dazu müs­sen wir uns nun einen pas­sen­den Vor­der­grund suchen. Und das bedeu­tet, eben nicht genau an der Stel­le ste­hen zu blei­ben und den Zoom zu benut­zen, son­dern sich zu bewe­gen. Den Vor­der­grund durch geschick­te Wahl des Auf­nah­me­stand­punkts so gegen den Hin­ter­grund zu ver­schie­ben, dass sich ein stim­mi­ges Gesamt­bild ergibt. Und die­se Ver­schie­bung darf auch ger­ne sowohl in der waa­ge­rech­ten, als auch in der Senk­rech­ten stattfinden.

Dia­na: Wie meinst Du das?

Gun­ther: Ich mei­ne, dass Du Dich ruhig auch mal auf den Boden legen sollst, falls es erfor­der­lich ist, um Vor­der- und Hin­ter­grund zu kombinieren.

Dia­na: Ach des­we­gen gibt es immer die lus­ti­gen Bil­der von Dei­nen Fotorei­sen, wo die Teil­neh­mer im Matsch liegen :-)

Alles eine Fra­ge der Perspektive…

Gun­ther: klar – je klei­ner der Vor­der­grund, umso wei­ter muss man natür­lich run­ter, um ihn vor den Hin­ter­grund zu bekom­men. Weißt Du noch in Thai­land, wo Du den Hund foto­gra­fiert hast?

Dia­na: Stimmt – der Unter­schied war mehr als deutlich!

Hund von Oben: lang­wei­lig. Hin­ter­grund ist der Boden. Kei­ne Tiefe.

Genau. Bei dem ers­ten Bild (oben) hät­te der Hund über­all lie­gen kön­nen. Der Hin­ter­grund ist hier der Sand. Da der Hund auch direkt auf dem Hin­ter­grund liegt, liegt er in der glei­chen Schär­fe­ebe­ne. Frei­stel­len ist nicht.

Dia­na: Und dann hast Du mir gesagt, ich soll mei­ne «Kom­fort­zo­ne» verlassen… :-)

Making of…

Gun­ther: Rich­tig – und es hat sich gelohnt, oder?

Hund in Augen­hö­he – unschar­fer Hin­ter­grund, schön Frei­ge­stellt – Umge­bung mit im Bild.

Dia­na: Auf jeden Fall! Das Bild gefällt mir 1000x besser!

Gun­ther: Mir auch – nicht nur, dass man dem Hund in die Augen bli­cken kann, der Hin­ter­grund ist auch viel wei­ter weg und schön Frei­ge­stellt – dadurch bekommt man das Gefühl der Tie­fe und das Bild wirkt auch viel ruhi­ger. Wei­ter­hin wird auch ein biss­chen was von der Umge­bung sicht­bar. Pal­men, eine Hüt­te, der Sand. So gibst Du den Hund in sei­ner Umge­bung wie­der, ohne den Fokus auf dem Hund zu ver­lie­ren. Klas­se gemacht!

Dia­na: Dan­ke :-) Du weißt ja, für Tie­re bin ich immer zu haben…

Gun­ther: Aber zurück zu unse­rer Elb­phil­har­mo­nie. Das fol­gen­de Foto wäre z.B. ein ganz gutes Bei­spiel: die Phil­har­mo­nie als sol­ches ist nur ange­deu­tet in der Unschär­fe zu erken­nen, aber das Fern­glas zeigt auf sie und der Schrift­zug weist auch den Orts­un­kun­di­gen dar­auf hin, wor­um es geht. Hier steckt schon viel mehr Indi­vi­dua­li­tät drin, als in dem «Tou­ri-Bild» von oben und die Tech­nik ist ähn­lich, wie bei dem Hund.

Hier noch ein Bei­spiel, wie man das The­ma umset­zen könn­te, dies­mal mit schar­fem Hin­ter­grund und unschar­fem Vordergrund.

Dia­na: Cool, wie hast Du die Elb­phil­har­mo­nie in die Ket­te bekommen? :-)

Gun­ther: Dazu muss­te ich nun mei­ne Kom­fort­zo­ne ver­las­sen. Ich wäre dabei fast in die Elbe gefal­len. :-) Um das Motiv so «zurecht­zu­schie­ben» muss­te ich näm­lich auf einen Pol­ler klet­tern und mich ziem­lich weit übers Was­ser beu­gen. Wenn man dann noch in einer Hand die Kame­ra hat, bleibt nur noch eine zum Festhalten…

Dia­na: Vol­ler Ein­satz also!

Gun­ther: Na klar, von allei­ne machen sich gute Fotos ja nicht… ;-) Okay, hier noch eine wei­te­re Varia­ti­on des Themas:

Du siehst, der Fan­ta­sie sind selbst bei sol­chen «tot­fo­to­gra­fier­ten» Moti­ven kei­ne Gren­zen gesetzt und sie las­sen sich auch ganz indi­vi­du­ell und per­sön­lich umset­zen. Wenn jetzt noch die Krä­ne irgend­wann weg sind… :-)

Dia­na: Meinst Du, das erle­ben wir noch? – Okay, ich fas­se also noch ein­mal zusam­men: Ich suche mir einen Hin­ter­grund, der mir gefällt, dann einen pas­sen­den Vor­der­grund der mir idea­ler­wei­se auch gefällt und der in irgend­ei­ner Wei­se zum Hin­ter­grund passt. Dann muss ich nur noch die rich­ti­ge Posi­ti­on für mei­ne Kame­ra und mich fin­den, um die bei­den ein­an­der so gegen­über zu stel­len, dass sich ein har­mo­ni­sches Gesamt­bild ergibt. Dabei kann ich durch Öff­nen der Blen­de und ent­spre­chen­des Fokus­sie­ren ent­we­der den Vor­der­grund oder den Hin­ter­grund scharf abbil­den und den Rest unscharf, um einen Ein­druck von Tie­fe zu vermitteln.

Gun­ther: Genau so!

Dia­na: Okay – das pro­bie­re ich mal. Ist das alles? Du hast ja vor­hin noch von wei­te­ren Tricks gesprochen.

Gun­ther: Natür­lich ist ein Schär­fe­ver­lauf nicht das ein­zi­ge Mit­tel, um dem Betrach­ter einen Ein­druck von Tie­fe zu geben. Jedes Bild wird ja vom Betrach­ter in einen gewis­sen Kon­text gesetzt. Z.B. weiß er, dass schrä­ge Lini­en, die ins Bild füh­ren, und sich ver­jün­gen in der Regel durch eine Flucht­punkt-Per­spek­ti­ve ver­ur­sacht wur­den, das heißt, dadurch zustan­de kom­men, dass Berei­che, die wei­ter weg sind auch klei­ner zu sehen sind. Auto­ma­tisch setzt das Gehirn des Betrach­ters die­se Infor­ma­ti­on dann in eine drei­di­men­sio­na­le Infor­ma­ti­on um. Hier mal ein ganz extre­mes Beispiel:

Flucht­punkt­per­spek­ti­ve

Auch ohne Schär­fen­ver­lauf ist hier die Drei­di­men­sio­na­li­tät deut­lich und die Wei­te der Land­schaft wir extrem betont. Aber auch auf unser Elb­phil­har­mo­nie-Bei­spiel lässt sich die­se Tech­nik übertragen.

Die­ses Bild wirkt dadurch «Dyna­misch» und Drei­di­men­sio­nal, weil das Gelän­der unten schräg ins Bild führt, und die Abstän­de der Stre­ben zuein­an­der sich nach hin­ten hin visu­ell ver­klei­nern. Wei­ter­hin ist auch rechts im Bild das glei­che bei der Häu­ser­front zu beob­ach­ten. Dadurch erhält das Bild eine star­ke Tie­fen­wir­kung, auch ohne, dass ich hier groß mit Schärfe/Unschärfe gear­bei­tet hät­te. Aber auch hier ist es ent­schei­dend, dass das Bild aus ver­schie­de­nen Ebe­nen besteht, die in der Tie­fe gestaf­felt sind. Das Gelän­der und die Häu­ser­front ver­bin­det nun die­se Ebe­nen sogar mit­ein­an­der im Raum und sorgt für den Effekt.

Dia­na: Ver­ste­he – noch so ein «Bau­stein» – hast Du noch mehr?

Gun­ther: Klar. Zum Bei­spiel ist es oft sehr hilf­reich, für Grö­ßen­ver­glei­che zu sor­gen. Unser Gehirn braucht irgend­wel­che Anhalts­punk­te, um aus der «schwa­chen» 2D Pro­jek­ti­on, die wir mit unse­ren Fotos ablie­fern, auf die Rea­li­tät, die wir beim Foto­gra­fie­ren gese­hen haben, zu schlie­ßen. Bei dem Bild eben hat­te das Gehirn es leicht, es «weiß» aus Erfah­rung, wie groß ein Haus ist, wie hoch ein sol­ches Gelän­der ist oder ein Kran. Alles wird auto­ma­tisch in den Kon­text gerückt. Das ist aber nicht immer so.

Dia­na: Hmm – hast Du mal ein Beispiel?

Gun­ther: Klar, schau Dir z.B. mal das Bild von dem Was­ser­fall an, das ich ich Pata­go­ni­en gemacht habe.

Dia­na: Schö­nes Bild.

Gun­ther: Jaja –  ;-) – Aber denkst Du, Du nimmst ihn so impo­sant wahr wie wir, als wir vor Ort waren?

Dia­na: Ver­mut­lich nicht.

Gun­ther: Den­ke ich auch. Klar, es fehlt das Getö­se, der Gischt-Geruch, die kal­te Luft und die Dreidimensionalität.

Dia­na: Auf die kal­te Luft kann ich gut ver­zich­ten, ich bin froh, dass der Som­mer vor der Tür steht! :-)

Gun­ther: Die kann ich Dir auch nicht bie­ten, genau­so wenig wie Gischt-Geruch und Getö­se. Aber an der Drei­di­men­sio­na­li­tät kann ich arbei­ten. Im Moment kannst Du durch blo­ßes Betrach­ten des Bil­des gar nicht abschät­zen, wie groß der Was­ser­fall wirk­lich ist.

Dia­na: Das stimmt. Ich weiß ja auch nicht, wie groß die Bäu­me sind.

Gun­ther: Und hier kommt Roland ins Spiel. Er war der ers­te, der nach unten klet­ter­te, nach­dem die Park­wäch­ter weg waren, die mich vor­her noch zurück­ge­pfif­fen hat­ten. Schau Dir die­ses Bild mal im Ver­gleich an:

Dein Gehirn setzt nun auto­ma­tisch Roland mit dem Was­ser­fall in Bezug und schließt von sei­ner ange­nom­me­nen Grö­ße (auch wenn Du ihn noch nie gese­hen hast) auf die Grö­ße des Wasserfalls.

Dia­na: Wow, stimmt! Plötz­lich habe ich einen Bezugs­punkt und das Foto wirkt ganz anders.

Gun­ther: Eben. Und genau so, wie es eine Per­son sein kann, die für die­sen Bezug sorgt, kön­nen es auch ande­re Ele­men­te sein, die es dem Betrach­ter erlau­ben, das Bild bes­ser zu «begrei­fen». Ähn­lich ver­hält es sich mit die­sem Con­dor. Selbst in Rea­li­tät, fällt es schwer, abzu­schät­zen, wie groß die­se mäch­ti­gen Vögel sind, weil wir außer der Tat­sa­che, dass es die größ­ten Vögel über­haupt sind, nicht wirk­lich wis­sen, wie groß ein Con­dor tat­säch­lich ist. Wir wis­sen aber – zumin­dest die Meis­ten von uns – wie groß ein Schaf ist. Und wie hoch der Zaun sein könn­te. In Bezug zu dem Schaf gesetzt, «sehen» wir des­halb die wah­ren Aus­ma­ße – und das funk­tio­niert, weil wir natür­lich eher beur­tei­len kön­nen, wie groß ein Schaf ist, als ein Con­dor. Hin­zu kommt hier auch noch, dass der Con­dor deut­lich wei­ter weg ist, als die Scha­fe – also im Ver­hält­nis durch die grö­ße­re Ent­fer­nung klei­ner abge­bil­det wird.

Du siehst, die Beur­tei­lung eines Bil­des fin­det ganz stark im Kon­text des Betrach­ters statt. Wür­dest Du das Bild jeman­dem zei­gen, der noch nie ein Schaf in Rea­li­tät gese­hen hat, wür­de ihm das Foto auch nichts sagen. Es sei denn, er wüss­te z.B. wie groß ein Kara Kara ist – das ist der Vogel, der hin­ter dem Con­dor sitzt. Auch kein ganz kleiner…

Dia­na: Cool, so habe ich das noch nie gese­hen. Aber das Foto ist trotz­dem eher «Doku­men­ta­risch» oder – so ein rich­tig tol­les Foto ist es nicht.

Gun­ther: Aha – also sind Grö­ßen­ver­hält­nis und Tie­fen­wir­kung nicht alles, was man beach­ten muss, um ein «gutes» Foto zu machen. Was stört Dich denn?

Dia­na: Ich weiß auch nicht – es ist so ein Gefühl…

Gun­ther: Na gut, dann ver­su­che ich es ein­mal zu ana­ly­sie­ren: der Con­dor ist ver­ti­kal fast in der Mit­te, aber doch nicht ganz. Genau wie das Schaf. Der Hügel im Vor­der­grund ist zu domi­nant, im Ver­gleich zum Hin­ter­grund. Der Vor­der­grund ist zudem unru­hig. Dann gibt es noch den zwei­ten Kon­dor, den man aber auf­grund sei­ner Posi­ti­on nicht rich­tig erken­nen kann und der den Betrach­ter eher verwirrt.

Dia­na: Ja, und die Far­ben sind auch nicht so toll.

Gun­ther: Stimmt. Also muss es noch wei­te­re Fak­to­ren geben, die dar­über bestim­men, ob man ein Bild als «Schön» emp­fin­det, als die­je­ni­gen, die wir eben schon bespro­chen haben. Die Posi­tio­nie­rung der Haupt­ele­men­te und die Auf­tei­lung des Bil­des sind dabei wich­ti­ge Kri­te­ri­en. Aber ich den­ke, das machen wir dann in der nächs­ten Folge.

Dia­na: Okay – ich muss auch erst­mal alles ver­dau­en und aus­pro­bie­ren, das war eine Men­ge Input. Lie­be Leser, ich hof­fe, ihr seid dabei! Jetzt haben wir ja schon eine Men­ge Tipps von Gun­ther bekom­men, um tol­le Fotos zu machen. Ich habe den Ein­druck, allei­ne die Sache mit dem Vor­der- und Hin­ter­grund ist die hal­be Mie­te! Ich bin schon ganz gespannt. Berich­tet uns doch mal von Euren Erfah­run­gen und Expe­ri­men­ten in den Kommentaren!

Wei­ter geht’s mit der nächs­ten Folge:

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