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Busfahrt mit Überraschung

Ganz früh müs­sen wir heu­te los, denn unser Bus an die Küs­te soll schon um 7 Uhr mor­gens vom Bus-Ter­mi­nal in San­ta Ele­na aus star­ten. Um 5 Uhr mor­gens geht der Wecker, wir packen schnell unse­re Sachen und neh­men dann ein Taxi zum Ter­mi­nal, wel­ches etwas außer­halb liegt. Als wir dort ankom­men, sind die Schal­ter der Bus­ge­sell­schaf­ten alle noch geschlos­sen. Komisch. Man hat­te uns gesagt, dass sie jeweils eine hal­be Stun­de vor Abfahrt des jewei­li­gen Bus­ses öff­nen wür­den, und wir uns dann pro­blem­los die Tickets kau­fen könnten.

Nach­dem wir eini­ge Zeit gewar­tet haben, fra­gen wir eine Putz­frau. Sie erklärt uns, dass die Infor­ma­ti­on, die man uns ges­tern in einer der Tour-Agen­ci­es gege­ben hat­te, falsch war. Der Bus fährt nicht um sie­ben Uhr mor­gens, son­dern um 7 p.m. – also abends.
Na pri­ma. 12 Stun­den war­ten! Das darf doch nicht wahr sein! 

Als der ers­te Schal­ter auf­macht, fra­gen wir dort nach, ob es noch Alter­na­ti­ven gäbe. Ja, es gäbe einen Bus, der um 12 Uhr mit­tags fah­re. Wenigs­tens etwas. Der Mit­tags­bus hat sogar einen Vor­teil für uns: er fährt direkt bis an die Küs­te, nach Puer­to la Cruz, und nicht nur bis Cui­dad Bolí­var, wie der ande­re. Mit die­sem Mit­tags­bus sol­len wir mor­gen früh um 5 Uhr an der Küs­te sein und müss­ten nicht mal umstei­gen, ver­spricht man uns. Na, das hört sich doch ganz gut an! Kari­bik, wir kom­men! Aber ganz so ein­fach soll­te es dann lei­der doch nicht werden…

Um die War­te­zeit zu über­brü­cken, lau­fen wir noch ein­mal zurück nach St. Ele­na und kau­fen Pro­vi­ant für die Fahrt ein. Irgend­wie müs­sen wir die nächs­ten 5 Stun­den ja rum­krie­gen. Wir pro­bie­ren, noch ein­mal Geld zu holen. Dass das in Vene­zue­la eine zeit- und ner­ven­auf­rei­ben­de Ange­le­gen­heit sein kann, haben wir ja, wie im Kapi­tel «Kein Geld für die Wei­ter­rei­se?» beschrie­ben, schon fest­stel­len müs­sen: Die Auto­ma­ten sind in Vene­zue­la echt aben­teu­er­lich. Wenn man einen Betrag ein­gibt, der zu hoch ist, kommt nur eine selt­sa­me Feh­ler­mel­dung, die nichts mit dem eigent­li­chen Feh­ler­grund, näm­lich dem zu hohen Betrag, zu tun hat. Bis wir begrif­fen haben, dass wir uns davon nicht abschre­cken las­sen dür­fen, son­dern nur einen gerin­ge­ren Betrag ein­ge­ben müs­sen, hat uns das schon ganz schön Ner­ven gekos­tet. Mitt­ler­wei­le sind wir natür­lich schlau­er, aber die­ses Wis­sen ent­bin­det uns nicht davon, auch dies­mal wie­der eine kom­plet­te Tour durch den Ort zu machen, um an den diver­sen Auto­ma­ten unser Glück zu pro­bie­ren und über­all Kle­cker­be­trä­ge abzu­he­ben. Und wir reden hier von maxi­ma­len Beträ­gen von 20€ oder 30€. Unse­re Ver­mu­tung ist ja nach wie vor, dass der Grund die jedes Mal fäl­li­gen Gebüh­ren sind, die bei jeder ein­zel­nen Abhe­bung zuguns­ten der Bank und zu Las­ten unse­res Kon­tos gehen.

Ganz lang­sam gehen wir zurück zum Bus­bahn­hof und essen dort in Ruhe das ein­ge­kauf­te Obst. Wir haben immer noch viel Zeit… Wir ver­brin­gen sie mit War­ten, was soll man sonst hier auch machen? Ich nut­ze die Gele­gen­heit, mei­ne Rei­se­no­ti­zen auf den Stand zu brin­gen und in unse­rem Tra­vel-Gui­de zu lesen. 

Um halb zwölf trifft der Bus dann end­lich ein, wir ver­stau­en unser Gepäck, bekom­men dafür ein Ticket und set­zen uns in den Bus. Beim Ein­stei­gen in die­se Bus­se bekommt man jedes Mal einen Tem­pe­ra­tur­schock. Wir ken­nen das ja schon und haben wie­der unse­re Schlaf­sä­cke mit­ge­nom­men. Außer uns fah­ren fast aus­schließ­lich Ein­hei­mi­sche mit. Kurz vor der Abfahrt stei­gen dann jedoch zwei wei­te­re Tra­vel­ler ein. Auch sie haben ihre Ruck­sä­cke im Gepäck­fach des Bus­ses ver­staut. Sie set­zen sich eini­ge Rei­hen vor uns hin. Wie immer spe­ku­liert man natür­lich, aus wel­chem Land sie denn kämen. Wir ver­mu­ten, dass es Euro­pä­er sind, glau­ben aber nicht, dass es Deut­sche sind. Nico tippt auf Eng­län­der, ich auf Skandinavier.

Der Bus star­tet dann über­pünkt­lich, um zehn vor zwölf. Es ist eine, bis auf die wie­der mal bis zum Anschlag auf­ge­dreh­te Air Con­di­ti­on, recht ange­neh­me Fahrt. Nico schläft recht schnell ein und ich lese Rüdi­ger Neh­bergs «Yan­om­ami» in einem Stück durch. Das Buch passt, wie ich fin­de, ziem­lich gut in die Gegend. Seit ges­tern habe ich wie­der eine beleg­te Stim­me und Hus­ten, die Kli­ma­an­la­ge hier im Bus ist da bestimmt genau das Rich­ti­ge :-/. Hof­fent­lich wer­de ich nicht gera­de jetzt noch rich­tig krank, wo es zum ent­span­nen in kari­bi­sche Gefil­de geht! 

Lei­der sieht man vom Bus aus nicht viel von der Land­schaft, durch die wir fah­ren. Da war der Flug über die Gran Saba­na doch deut­lich spektakulärer! 

Der Bus stoppt eini­ge Male zwi­schen­durch, ansons­ten ver­läuft die Fahrt, bis auf eini­ge Mili­tär­kon­trol­len, unspek­ta­ku­lär. Der Tag ver­geht, die Dun­kel­heit bricht her­ein. Nach­dem ich das Buch aus­ge­le­sen habe, fal­le auch ich schnell in einen tie­fen Schlaf. Die nächt­li­chen Stopps des Bus­ses bekom­men wir, glau­be ich, bei­de nicht mehr mit. 

Die feucht-war­me, abgas­ge­sät­tig­te Luft des Bus­bahn­hofs trifft mich wie ein Faustschlag

Irgend­wann – mit­ten in der Nacht – wer­de ich wach, schaue aus dem Fens­ter und sehe, dass der Bus steht. Ich schaue auf die Uhr – 2 Uhr nachts. Puer­to La Cruz kann das noch nicht sein, da sol­len wir erst gegen 5 Uhr sein. Aus­stei­gen will ich eigent­lich gar nicht, aber ich muss auf die Toi­let­te. Nico schläft immer noch, ich stei­ge vor­sich­tig an ihm vor­bei, wenn es irgend­wie geht, will ihn ver­mei­den, ihn zu wecken. Ich schä­le mich also aus dem Schlaf­sack und wan­ke schlaf­trun­ken an den ande­ren schla­fen­den Pas­sa­gie­ren vor­bei zur Fah­rer­tür. Irgend­wie inter­es­siert es mich ja schon, wo wir gera­de sind und so neh­me ich mir vor, mir den Ort zu mer­ken und wenn ich gleich wie­der im Bus bin, auf der Kar­te nachzusehen. 

Wenn man in Län­dern wie Vene­zue­la aus einem der über-kli­ma­ti­sier­ten Bus­se in die feucht-war­me, abgas­ge­sät­tig­te Luft eines Bus­bahn­hofs tritt, ist das immer ein ganz beson­de­res Erleb­nis. Mar­ke Faust­schlag ins Gesicht. So ergeht es mir auch jetzt. Puh!

Ich schaue mich um. Drau­ßen steht am Ter­mi­nal in gro­ßen Let­tern: „PLC“. Hmmm… PLC? Komi­scher Name für eine Stadt. PLC… Hmm… Wo wol­len wir noch­mal hin? Puer­to La Cruz. Das wird doch nicht etwa??? Ich fra­ge den Bus­fah­rer. Ein Bra­si­lia­ner, wie sich herausstellt. 

«Sim, isto aqui é Puer­to La Cruz!» bejaht er mei­ne Fra­ge. Mist, ich muss Nico sofort wecken, wir müs­sen hier aus­stei­gen! Der nächs­te Halt ist Cara­cas, und da wol­len wir bestimmt nicht hin!

Drei Stu­fen auf ein­mal neh­mend stür­me ich in den Bus an den ande­ren Schla­fen­den vor­bei und erklä­re einem völ­lig schlaf­trun­ke­nen Nico, dass wir aus­stei­gen müss­ten! «Was?» Sagt er nur und quält sich aus sei­nem Schlaf­sack. Wäh­rend­des­sen packe ich mei­nen Schlaf­sack, mein Buch und alles was sich über die letz­ten 14 Stun­den so aus mei­ner Tasche her­aus­be­wegt hat has­tig wie­der zurück dort hin­ein und kra­me nach mei­nem Gepäck­schein. Spä­ter mer­ke ich, dass ich in der Eile mei­ne Son­nen­bril­le am Vor­der­sitz habe hän­gen lassen.

Schnell eile ich aus dem Bus und sage dem Fah­rer, dass er auf kei­nen Fall los­fah­ren sol­le, son­dern das wir hier aus­stei­gen müss­ten und mein Kum­pel gleich käme. Ich gebe ihm mei­nen Gepäck­schein und er macht die Sei­ten­lu­ke auf. Jetzt kommt auch Nico und auch er hat sei­nen Gepäck­schein in der Hand. 

Ich weiß nur eins: ich will hier so schnell wie mög­lich weg!

Wir bekom­men unse­re Ruck­sä­cke und ste­hen kurz danach – völ­lig über­mü­det – mit unse­rem Gepäck auf dem Bus­bahn­hof von Puer­to La Cruz, zwi­schen gefühl­ten 200 Bus­sen, die alle den Motor lau­fen haben, einen Höl­len­lärm machen und einen Gestank ver­brei­ten, der droht, uns gleich in ein Koh­len­mon­oxid-Koma fal­len zu lassen.

Was für ein schreck­li­cher Ort! Nach der himm­li­schen Ruhe in der Gran Saba­na und sogar in San­ta Ele­ne ste­hen wir jetzt im Licht der gel­ben Queck­sil­ber­dampf­lam­pen, im Abgas­qualm der Bus­se und im Lärm der Moto­ren mit­ten in der Nacht auf einem Bus­bahn­hof, der im Grun­de genom­men nur ein rie­si­ger Platz mit unzäh­li­gen Bus­sen ist. So rich­tig haben wir kei­ne Ahnung, was wir jetzt machen sol­len. Aber ich weiß eins: Ich will hier so schnell wie mög­lich weg. 

Ich fra­ge also den Bus­fah­rer, wann der nächs­te Bus die Küs­te ent­lang nach Osten füh­re. «Wenn es hell wird!», ist die lapi­da­re Ant­wort. Super, das ist erst in drei Stun­den. Drei Stun­den hier ver­brin­gen, das hal­te ich nicht aus.

Mei­ne Lau­ne ist auf dem Tief­punkt. Die Über­mü­dung, der Lärm und der Gestank schla­gen mir direkt aufs Gemüt. Ich weiß nur: ich will hier weg!

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