Caracas bei Nacht

12012009

Über Cara­cas habe ich mir im Vor­feld zu unse­rer Vene­zue­la Rei­se die meis­ten Sor­gen gemacht. Trotz eini­ger Süd­ame­ri­ka Erfah­rung erschien mir die­se Stadt von vor­ne her­ein suspekt und ich hat­te wenig Lust, sie ken­nen zu ler­nen. Mein Plan war daher, gleich am Flug­ha­fen einen Anschluss­flug nach Méri­da zu neh­men, der beschau­li­chen Uni­ver­si­täts­stadt in den Anden, in der unse­re Tour begin­nen sollte.

Eine ent­spann­te Nacht auf den Flug­ha­fen Ham­burg, bevor es los geht.

Lei­der wuss­te ich auch von vorn­her­ein, dass das nur dann klap­pen wür­de, wenn unser Trans­at­lan­tik-Flug super­pünkt­lich ankä­me, sonst hät­ten wir kei­ne Chan­ce, den Flug nach Méri­da zu bekommen. 

Und genau die­ser Plan zer­platzt nun schon, kurz nach­dem wir in Paris in den Flie­ger nach Cara­cas umge­stie­gen sind. Der Pilot teilt uns näm­lich mit, dass wir erst mit ca. einer Stun­de Ver­spä­tung star­ten wer­den. Damit ist der Anschluss­flug für uns jetzt schon in uner­reich­ba­re Fer­ne gerückt.

Unse­re Maschi­ne über den Atlantik

Das heißt, wir haben nun also ca. 10 Stun­den Zeit, uns zwi­schen der Alter­na­ti­ve, am Flug­ha­fen zu über­nach­ten, oder mit dem Nacht­bus nach Méri­da zu fah­ren, zu ent­schei­den. Letz­te­res wäre ja an sich eine schö­ne Alter­na­ti­ve, ein­zi­ger Nach­teil: Der Bus star­tet aus Cara­cas City. Und dort müss­ten wir erst­mal hin­kom­men. Ich hat­te zudem im Forum gele­sen, dass die 30 km lan­ge Auto­bahn vom Flug­ha­fen in die City wegen eines Erd­rut­sches gesperrt sei und alle Fahr­zeu­ge die alte Rou­te durch die Ber­ge neh­men müss­ten. Fahrt­zeit: 2–4 Stun­den, je nach Verkehr…

Über­flug über Coche Island, hier wür­den wir die letz­te Woche verbringen


Nach den obli­ga­to­ri­schen Ein­rei­se­for­ma­li­tä­ten benö­ti­gen wir erst­mal Geld, bevor wir irgend­wel­che wei­te­ren Aktio­nen star­ten kön­nen. Schnell an den Auto­ma­ten ange­stellt, EC-kar­te rein, nix. Mas­ter­card rein, nix. Na, das fängt ja gut an. Zum Glück haben wir noch in Ham­burg eini­ge Euro in Dol­lar gewech­selt, und so ist schnell eine Wech­sel­stu­be gefun­den. Die per­ma­nent ner­ven­den Schwarztau­scher las­sen wir hier erst­mal links liegen.

Vor dem Flug­ha­fen erwar­te­ten uns 28 Grad und ein bedeck­ter Him­mel. Es ist 17:30, die Luft ist drü­ckend bis Schwül und ein ech­ter Kon­trast für uns im Ver­gleich zu den win­ter­li­chen Minus-Tem­pe­ra­tu­ren vor ein paar Stun­den noch in Deutschland.

Jetzt müs­sen wir wei­ter kom­men. Der Anschluss­flie­ger nach Méri­da ist natür­lich weg und wir wol­len ver­su­chen, den Nacht­bus nach Méri­da zu bekom­men. Jetzt stellt sich noch die Fra­ge, wo der denn wohl abfährt? Mit ein wenig Durch­fra­gen erfah­ren wir, dass die­ser im Zen­trum von der Sta­ti­on «Las Band­ei­ras» abfährt.

Nun müs­sen wir noch einen Bus ins Zen­trum fin­den. Viel­leicht stimmt das mit dem Erd­rutsch ja gar nicht und die Stra­ße ist wie­der frei. Wir fra­gen eini­ge Taxi­fah­rer. Die raten uns (natür­lich!) ab, mit dem Bus zu fah­ren und emp­feh­len uns statt­des­sen, ihre Diens­te in Anspruch zu neh­men. Berufs­ethos? Viel­leicht ein biss­chen. Aber sie bestä­ti­gen noch ein­mal das, was ich gele­sen habe. Dass die Stra­ße näm­lich wegen des Erd­rut­sches nach wie vor unpas­sier­bar sei.

Nach eini­gem Über­le­gen erscheint uns die Idee, mit dem Taxi zu fah­ren, gar nicht so dumm. Es ist mitt­ler­wei­le 18 Uhr. Es könn­te uns also pas­sie­ren, dass der Bus ins Zen­trum auf­grund der Schleich­we­ge, die er fah­ren muss, 3–4 Stun­den braucht und das wür­de bedeu­ten, dass wir voll in die Dun­kel­heit kom­men würden.
Wei­ter­hin wür­den wir in Cara­cas auch kei­ne Ahnung haben, wo wir aus­stei­gen müss­ten und ob der Bus uns über­haupt in die Nähe des Ter­mi­nals brin­gen wür­de. Immer­hin hat Cara­cas eine Flä­che von 2000 Qua­drat­ki­lo­me­ter und 3 Mil­lio­nen Einwohner!

Wir ent­schlie­ßen uns also dazu, ein Taxi zu neh­men, und das soll sich spä­ter noch als ver­dammt gute Idee herausstellen! 

Ich fan­ge gleich an zu ver­han­deln – muss man hier doch, oder? Aber da ist bei den Kol­le­gen nichts aus­zu­rich­ten. Wir müs­sen 80.000 BVS bezah­len, dafür ver­spricht uns der Fah­rer, uns in 1 bis 1 1/2 Stun­den zum Ter­mi­nal zu brin­gen und unter­wegs für uns per Funk Plät­ze im Bus nach Méri­da zu reser­vie­ren. Kein so schlech­ter Deal, wenn man bedenkt dass das unge­fähr 25 € sind.

Inter­ak­ti­ve Kar­te anzeugen.

Er fährt dann auch nicht die Auto­bahn, weil sich dort auf­grund der Erd­rut­sches alles staut, son­dern durch die Ber­ge eine klei­ne Stra­ße, die sich in Ser­pen­ti­nen zunächst auf 2.000m hoch­win­det, bevor sie uns dann in das in einem Tal auf ca. 1.000m lie­gen­de Cara­cas ent­lässt. Die Stre­cke führt uns durch eini­ge Vor­or­te von Cara­cas. Und was wir hier sehen, ver­schlägt uns fast die Sprache. 

Die Vor­or­te sind an die Berg­hän­ge gebaut, viel­leicht soll­te man bes­ser sagen «geklatscht», denn so sieht es aus. Zwi­schen­drin feh­len immer mal wie­der gan­ze Orts­tei­le – die­se sind dann einem der zahl­rei­chen Erd­rut­sche zum Opfer gefal­len. Ein wirk­lich erschre­cken­des Bild. 

Bei der Durch­fahrt durch die Vor­or­te kom­men wir uns erst rich­tig deplat­ziert vor. Hier möch­ten wir defi­ni­tiv in der jetzt ange­bro­che­nen Dun­kel­heit als «Grin­gos» nicht allei­ne und schon gar nicht mit unse­rem Gepäck her­um­lau­fen. Die Stra­ßen sind voll mit Men­schen, die zum gro­ßen Teil sehr, sehr arm wirken. 

Wir sehen allent­hal­ben Waf­fen und wis­sen jetzt auch, war­um bei dem Taxi, in dem wir sit­zen, alle Schei­ben bis auf einen ganz schma­len Seh­schlitz vor­ne in der Wind­schutz­schei­be kom­plett schwarz getönt sind.
Ich traue mich nicht, mei­ne Kame­ra her­aus­zu­ho­len, um zu fotografieren.

Cara­cas hat je nach Zähl­wei­se zwi­schen 3 und 6 Mio. Ein­woh­ner. Das wah­re Aus­maß wird uns deut­lich, als wir über den Pass fah­ren und einen Blick in die dahin­ter­lie­gen­den Täler – alle­samt von Cara­cas aus­ge­füllt – wer­fen können. 

Stadt, soweit das Auge reicht!

Ver­dammt, wo soll da der Bus­bahn­hof sein?? Gut, dass unser Fah­rer das zu wis­sen scheint.

Inter­ak­ti­ve Kar­te ansehen.

Und er fin­det ihn. Und wir sind echt froh, dass er uns direkt am Bus­termi­nal her­aus lässt. Hier herrscht ein Mega­trou­bel. Gar kein Ver­gleich zu den Rodo­viá­ri­as in Bra­si­li­en. Auf unse­re Fra­ge, wo wir hin müss­ten, ruft er uns einen Jun­gen her­an, und bit­tet ihn, uns den Weg zu zei­gen. Wäh­rend wir noch unse­re Ruck­sä­cke aus dem Kof­fer­raum holen und schul­tern, bedeu­tet uns der Jun­ge schon, dass der Bus gleich füh­re und wir ihm rápi­do, rápi­do fol­gen sollen. 

Schnell fra­ge ich unse­ren Fah­rer noch, was denn der Bus kos­ten wür­de? Er sagt ca. 35.000 Bvs. pro Per­son, also ca. 8€. Hier­für hät­ten wir kei­nen Flug bekom­men! Wir ver­ab­schie­den uns uns müs­sen uns beei­len, denn der Jun­ge eilt mit gro­ßen Schrit­ten vor, und da müs­sen wir jetzt schnell hin­ter­her, mit­ten durch die Menschenmenge.

Wir kön­nen ihm kaum fol­gen, so schnell wuselt er zwi­schen all den ande­ren durch. Immer wie­der wer­den ange­spro­chen, ob wir einen Bus bräuch­ten? Nein nein, wir wis­sen schon wo hin, rufe ich zurück. Schei­ße, wo ist er jetzt? 

Ah, da vor­ne. Schnell hin­ter­her. Mann, was für eine Hek­tik. Aber wie sol­len wir wis­sen, ob das nicht viel­leicht wirk­lich der letz­te Bus ist? Hier wol­len wir jeden­falls die Nacht auf kei­nen Fall verbringen. 

Nach einer ziem­li­chen Hetz­jagt durch das Ter­mi­nal sehen wir dahin­ter an die hun­dert Bus­se ste­hen. Die meis­ten mit lau­fen­dem Motor. Der Die­sel­ge­stank brennt in unse­ren Lun­gen und wir eilen immer noch dem Jun­gen hin­ter­her. Er wuselt da durch und bedeu­tet uns immer wie­der, ihm schnell zu fol­gen. Wir kom­men kaum hin­ter­her, da wir immer wie­der ande­re «Hilfs­be­rei­te» abschüt­teln müssen. 

Was für eine Hek­tik. Jetzt will er einen Bus klar machen. Die Gepäck­lu­ke ist auf. Wir che­cken nur noch schnell den Preis. Als der Fah­rer hört, dass wir maxi­mal 35.000 Bvs. pro Per­son zah­len wol­len, fährt er plötz­lich doch nicht mehr nach Méri­da. Aha.

Wei­ter geht es. Der Jun­ge vor­an, wir hin­ter­her, und schon hat er einen wei­te­ren Bus auf­ge­tan. Auch hier ist der Fah­rer über den Preis, den wir zah­len wol­len, nicht glück­lich, aber er wil­ligt schluss­end­lich ein, nach­dem der Jun­ge ein biss­chen für uns ver­han­delt hat. 

Méri­da? Ja, Mérida!

Dafür kriegt der Jun­ge natür­lich auch ein Trink­geld – er freut sich und ist so schnell wie­der weg, wie er uns hier her gebracht hat. Die Ruck­sä­cke kom­men in die Gepäck­lu­ke, geis­tes­ge­gen­wär­tig neh­men wir noch schnell unse­re Schlaf­sä­cke raus, erhal­ten für die Ruck­sä­cke sogar Gepäck­bons und stei­gen dann in den dop­pel­stö­cki­gen, geräu­mi­gen, kli­ma­ti­sier­ten und mit Schlaf­ses­seln aus­ge­stat­te­ten Rei­se­bus mit Ziel Méri­da ein. 

Und schon geht es los! Puh. Ruhe. Sicher­heit. Wir sind fix und fer­tig. Uns ste­cken 300km Bahn­fahrt, eine Nacht auf dem Ham­bur­ger Flug­ha­fen, der Flug nach Paris, die Ver­spä­tung, der Flug nach Cara­cas, der Taxi­trip durch die Vor­or­te und die Hatz über den Bus­bahn­hof in den Knochen.
Und jetzt end­lich sit­zen wir in einem wirk­lich beque­men Schlaf­bus, in dem es allen­falls auf­grund der Kli­ma­an­la­ge etwas kalt ist, aber dage­gen haben wir ja zum Glück unse­re Schlaf­sä­cke. Noch schnell ein Foto und dann bin ich eingeschlafen…

Méri­da wir kommen!

End­lich im Nacht­bus raus aus Caracas!

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4 Kommentare bisher


  1. Peter Schneider 25. Dezember 2020, 16:48   »

    An der Wech­sel­stu­be zu tau­schen war ein her­ber Ver­lust. Ab 2005 erreich­te der «offi­zi­el­le» Wech­sel­kurs und der reel­le Wert des Boli­var zu «nor­ma­len» Devi­sen wir USD oder EUR einen immer grö­ße­ren Abstand. Am Geld­au­to­ma­ten Geld zu zie­hen wäre nicht vor­teil­haf­ter gewe­sen. Im Fal­le, dass man nicht schnell jeman­den fin­det, der einem «ver­trau­ens­voll» sei­ne USD in Boli­var wech­selt, wäre es eine Opti­on gewe­sen, direkt mit USD oder gar EUR zu bezah­len, wo es nur eben geht. Der Taxi­fah­rer bei­spiels­wei­se hät­te das zumin­dest mit Sicher­heit akzeptiert.

  2. Wolfgang 29. Juni 2009, 21:14   »

    Da ich selbst schon des öfte­ren in Süd­ame­ri­ka war kann ich nur bstä­ti­gen das es kein Zucker­schle­cken ist dort zu reisen.
    Man muß sehr gut auf­pas­sen wo und in wel­cher Gegen­wart mein sei­nen Geld­beu­tel zückt um nicht nähs­ten mor­gen tod im Stra­ßen­gra­ben zu liegen.

  3. Evelyn Wegner 13. Januar 2009, 21:29   »

    Groß­ar­tig, daß ich Dei­ne Rei­sen mit­er­le­ben darf. Die Fotos sind beein­dru­ckend. Freue mich auf die Fort­set­zung. E.

  4. Bin schon gespannt, wie’s wei­ter­geht. Eve­lyn meint, Du soll­test da beruf­lich ein­stei­gen (Rei­se­be­rich­te, etc.) – und ein Buch wäre wün­schens­wert! Herz­lichst Mu

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