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Das traurige Geheimnis des Lake Guri

Von Cd. Bolí­var aus zieht der Pilot eine wei­te Schlei­fe. Den majä­stä­ti­schen Orino­co las­sen wir im Nor­den hin­ter uns und neh­men Kurs nach Süden, in Rich­tung der Gran Saba­na. Bevor wir die­se errei­chen, flie­gen wir aber zunächst aber über eine rie­si­ge Was­ser­flä­che, die immer wie­der mit klei­nen Inseln durch­zo­gen ist. 

Wir flie­gen über den Lake Guri…

Das irri­tiert mich, denn aus mei­ner Erin­ne­rung an die Vene­zue­la Land­kar­te kann ich mir gera­de nicht so recht vor­stel­len, was das ist. Der Oze­an kann es eigent­lich nicht sein, auch wenn die­se Was­ser­flä­che so groß ist, dass sie so aus­sieht. Was­ser – wohin das Auge reicht.

Ich hole unse­re Kar­te her­aus und stel­le fest, dass es sich um einen See han­delt, den Lake Guri. Er ist in Nord-Süd-Rich­tung 300 km lang, und hat eine Brei­te von 150 Kilo­me­tern. Sei­ne Tie­fe beträgt im Schnitt 30 Meter, an den tiefs­ten Stel­len sogar bis zu 170 Meter. Sei­ne Flä­che beträgt 4.250 km², das ent­spricht unge­fähr der dop­pel­ten Grö­ße des Saar­lands. Die­se gigan­ti­schen Aus­ma­ße erklä­ren, war­um wir beim Über­flug zum Teil kein Ufer sehen. Inter­es­siert schau­en wir auf die unzäh­li­gen klei­nen Inseln, die immer wie­der die Was­ser­ober­flä­che unterbrechen.

Erst viel spä­ter, bei den Recher­chen zu die­ser Erzäh­lung, wird mir klar, was es mit dem See wirk­lich auf sich hat. Es ist näm­lich mit­nich­ten natür­lich, son­dern im Rah­men eines Regie­rungs­pro­jek­tes in den 60er Jah­ren zur Erzeu­gung von Was­ser­kraft auf­ge­staut wor­den. Durch die­ses gigan­ti­sche Pro­jekt ist einer der zehn größ­ten Stau­seen der Erde entstanden!

Das Was­ser zahl­rei­cher Flüs­se wur­de mit einer Viel­zahl von Däm­men auf­ge­staut und der tie­fe und unbe­rühr­te Urwald, der hier exis­tier­te, ein­fach geflutet.

Die Fol­gen für die ansäs­si­ge Flo­ra und Fau­na waren und sind dramatisch!

…einen künst­lich auf­ge­stau­ten See von fast 5.000 Quadratkilometern…

Man muss sich das vor­stel­len: Eine Flä­che dop­pelt so groß wie das Saar­land wird voll­stän­dig unter Was­ser gesetzt. Mil­li­ar­den von Lebe­we­sen ertrin­ken. Nur eini­ge weni­ge kön­nen sich auf die ver­blei­ben­den klei­nen Inseln retten.

Was nun im Lau­fe der nächs­ten Jah­re pas­siert, ist nicht weni­ger dra­ma­tisch aber für Wis­sen­schaft­ler auch heu­te noch ein fas­zi­nie­ren­des und bei­spiel­lo­ses For­schungs­ge­biet.

Die Res­sour­cen auf den klei­nen Inseln rei­chen für gro­ße Raub­tie­re zum Über­le­ben nicht aus, sie ster­ben einen qual­vol­len Hun­ger­tod, wenn sie nicht auf das Fest­land flüch­ten konn­ten. Die über­le­ben­den klei­ne­ren Tie­re sie­deln sich zwar auf den Inseln an, errei­chen aber sehr schnell eine Popu­la­ti­ons­dich­te, die zum Teil dem 100-Fachen ihrer nor­ma­len Popu­la­ti­on ent­spricht. Die Ursa­che dafür ist vor allem, dass die natür­li­chen Fein­de an der Spit­ze der Nah­rungs­ket­te, die gro­ßen Raub­tie­re, nun nicht mehr exis­tie­ren. Durch ihre Abwe­sen­heit wird das vor­her herr­schen­de Jäger-Beu­te-Gelich­ge­wicht in ein voll­stän­di­ges Cha­os ver­wan­delt und von den ehe­ma­li­gen Beu­te­tie­ren nun durch Über­po­pu­la­ti­on ver­hee­ren­de Schä­den angerichtet.

Das Ergeb­nis hier­von sind heu­te zum Bei­spiel Inseln, in denen Legua­ne in 10-facher Popu­la­ti­ons­dich­te leben. Auf ande­ren Inseln leben Blatt­schnei­de-Amei­sen in 100-facher Popu­la­ti­ons­dich­te, mit ver­hee­ren­den Fol­gen für die Vege­ta­ti­on. Nur die stärks­ten Pflan­zen über­le­ben und schüt­zen sich mit extrem star­ken Gift­kon­zen­tra­tio­nen gegen die Über­macht der Fein­de. Auf wie­der ande­ren Inseln gibt es Brüll­af­fen in einer Popu­la­ti­ons­dich­te, die dem 50-fachen des Nor­ma­len ent­spricht. Die­se Affen ver­hal­ten sich als Fol­ge der Über­po­pu­la­ti­on, ent­ge­gen ihrer Natur, inter­es­san­ter­wei­se völ­lig still – von dem nor­ma­len all­mor­gend­li­chen Brül­len ist nichts mehr zu hören.

Das gesam­te öko­lo­gi­sche Gleich­ge­wicht wur­de vom Men­schen hier nach­hal­tig zerstört. 

Und warum das Ganze?

…150 km lang, 5km breit – wur­de hier der Urwald geflutet…

Vene­zue­la hat kei­ne Ener­gie­pro­ble­me. Sie haben Öl im Über­fluss. Auch heu­te noch kos­tet z. B. Ben­zin nur ein Zehn­tel von dem, was es in Euro­pa kos­tet. Ein früh­zei­ti­ges Set­zen auf rege­ne­ra­ti­ve Ener­gien? Nein, mit­nich­ten. Der Grund war natür­lich das lie­be Geld. Statt die Ölvor­rä­te für das eige­ne Land zu ver­wen­den, kann Vene­zue­la die­se zu einem viel höhe­ren Preis in die U.S.A. expor­tie­ren – und als Ersatz für die eige­nen Bedar­fe haben sie halt den Urwald geflutet.

Die­ses Bei­spiel zeigt wie­der ein­mal, wel­che Fol­gen das Ein­grei­fen des Men­schen in das fra­gi­le Gleich­ge­wicht der Natur hat. Und es zeigt auch eines der Pro­ble­me der als so sau­ber pro­pa­gier­ten Was­ser­kraft­wer­ke auf. Vie­le wei­te­re wer­den am Bei­spiel des Bal­bi­na-Stau­sees im bra­si­lia­ni­schen Ama­zo­nas-Urwald deut­lich. Dazu aber nächs­te Woche mehr.

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