Wasserkraftwerke werden von vielen gemeinhin als saubere Energiequelle empfunden. Dass das nicht immer stimmt, habe ich letzte Woche ja bereits am Beispiel des Lake Guri gezeigt. Ein weiterer repräsentativer Fall, der die Absurdität dieser Projekte fast noch drastischer aufzeigt, ist der Balbina Stausee in der Amazonasregion.
Ich hatte ja schon in Brasilien – Highlights des Nordens über einige der Auswirkungen, die eine Millionenstadt wie Manaus mitten im Urwald auf die Natur hat, geschrieben. Damals hatte uns Enrique, unser Führer im Amazonas, auf viele Probleme aufmerksam gemacht. Eines davon ist natürlich der Energiebedarf dieser Stadt. Unter anderem erzählte er uns von dem Bau eines Wasserkraftprojektes im Regenwald, welches desaströse Folgen hatte. Es handelt sich um den Balbina Stausee, ca. 125 km nördlich von Manaus. In Zusammenhang mit den Recherchen über Lake Guri, habe ich diese traurige und haarsträubend absurde Geschichte nun einmal nachverfolgt.
Um die Energieprobleme der Stadt Manaus zu lösen, wurde in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von der brasilianischen Regierung beschlossen, einen kleinen Nebenfluss des Amazonas ca. 125 km nördlich von Manaus aufzustauen, um so in Zukunft mit Hilfe von Wasserkraft Energie zu gewinnen.
Trotz aller vorherigen Warnungen von Wissenschaftlern und Naturschützern wurde das Projekt von der brasilianischen Regierung realisiert und von der Weltbank – und damit auch Deutschland – mitfinanziert.
Interessant ist ein Artikel, der noch vor Beginn der Flutung, nämlich am 7.8.1987, in der ZEIT erschien: Sinntflut gegen Indios beschrieb die zu erwartenden, und von Umweltexperten schon lange vorausgesehenen, dramatischen ökologischen Folgen sowie die ökonomische Sinnlosigkeit dieses Vorhabens schon damals sehr anschaulich.
Um sich die Dimensionen dieses Projektes zu verdeutlichen: mit 2.360 km² ist der Balbina-Stausee mehr als halb so groß wie der Lake Guri und mehr als 100-mal größer als die Edertalsperre, einem der größten deutschen Stauseen. Also gigantisch.
Eine der größten Umweltkatastrophen im Amazonas-Gebiet
Und natürlich traten die vorausgesagten Folgen ein. Und sie sind – nach wie vor und nicht nur für die Amazonas Region – katastrophal. Heute gilt der Balbina-Staudamm als eine der größten Umweltkatastrophen im Amazonas-Gebiet.
Die primäre Auswirkung der Flutung war natürlich, dass, wie auch bei Lake Guri und allen anderen solcher Projekte, der Urwald auf dieser riesigen Fläche mit seiner gesamten Flora und Fauna unwiederbringlich zerstört wurde.
Weiterhin wurden die ansässigen Ureinwohner, die ohnehin schon mehrfach vor den Weißen flüchten mussten, aus einer ihrer letzten Zufluchtsstätten vertrieben. Eine Entschädigung haben sie dafür nie bekommen.
Aber Stauseen dieser Dimension ziehen – und das gilt eigentlich für alle dieser Projekte, besonders in tropischen Regionen – noch ganz andere Probleme nach sich.
Die 10 bis 100-fache Menge an Treibhausgasen wie ein gleichgroßes Kohlekraftwerk
Was viele nicht wissen ist, dass diese «sauberen Lieferanten regenerativer Energie» darüber hinaus auch ganz entscheidend zum Treibhauseffekt beitragen. Man schätzt, dass Wasserkraftwerke in tropischen und subtropischen Regionen die zehn- bis hundertfache Menge (sic!) an Treibhausgasen freisetzen, wie ein von der Stromerzeugung gleich dimensioniertes Kohle- oder Dieselkraftwerk.
Das kommt dadurch zustande, dass die gesamte Biomasse des zuvor intakten Urwalds nach der Flutung am Boden des Sees liegt und dort von Bakterien zersetzt wird. Durch diesen Zersetzungsprozess werden riesige Mengen an Kohlendioxyd und Methan im Wasser gelöst.
Besonders Methan ist ein äußerst effektives Treibhausgas. Seine Treibhauswirksamkeit ist 25x so groß, wie die von CO2 und es trägt heute schon mit rund 20% zum Treibhauseffekt bei.
Wenn dieses mit CO2 und Methan angereicherte Wasser nun durch die Turbinen gedrückt wird, passiert genau das Gleiche, was auch passiert, wenn man eine Flasche Cola schüttelt: Die Gase werden freigesetzt und gelangen in die Atmosphäre. Leider kommt dieser Prozess auch nach Jahren und Jahrzehnten nicht zu einem Ende, da die Zuflüsse des Sees immer neue Biomasse in den See schwemmen.
Kaum Lebensraum für Pflanzen und Tiere
Im See selbst entsteht durch die gelösten Urwaldbestandteile eine trübe, säurehaltige Lösung, die kaum Lebensraum für Pflanzen und Tiere bietet. Sogar die Turbinen werden von diesem Wasser so stark angegriffen, dass sie schon nach kurzer Zeit ersetzt werden müssen. Dies führt zu weiteren, nicht kalkulierten, Folgekosten. Selbst wenn sich die Wasserqualität nach Jahrzehnten etwas verbessert und sich wieder einige Tiere, wie Fischotter, ansiedeln, ist von der Biodiversität, die dort früher herrschte, nichts mehr übrig.
Auch ökonomisch ein Riesenflop
Damit aber nicht genug. Das Projekt wurde auch in ökonomischer Hinsicht ein Riesenflop. Schon während der Bauzeit war vielen klar, dass die zu erzeugende Energie die Stadt Manaus, die zu dem Zeitpunkt stark expandierte, bei weitem nicht würde versorgen können.
Im Unterschied zum Lake Guri beträgt die durchschnittliche Tiefe des Balbina Sees aufgrund der geografischen Gegebenheiten im Amazonas-Becken nämlich nur 7,4 m. Aus diesem Grund erzeugt der Balbina Stausee mit seiner riesigen Fläche nur 112 Megawatt und damit sogar weniger Energie als die Edertalsperre, die 100x kleiner ist! Der knapp doppelt so große Lake Guri hingegen leistet fast das 100-fache, nämlich 10.300 Megawatt und schafft es so, zumindest die Hälfte des Energiebedarfs Venezuelas zu decken.
Nun sollte man meinen, dass nach so einem Flop auch der Letzte begriffen hat, dass das flache Amazonas-Becken einfach nicht für ein Wasserkraftwerk geeignet ist und jeder Versuch, im Amazonas-Becken weitere Stauseen zu bauen, in weiteren riesigen Zerstörungen enden wird, ohne die gewünschte Effizienz zu liefern.
Aber ganz im Gegenteil: trotz dieser nicht wieder gut zu machenden ökologischen Katastrophe gibt es zahlreiche Pläne der brasilianischen Regierung, im Norden Brasiliens weitere Wasserkraftwerke zu errichten.
Staudämme – Ein globales Problem
Der Balbina-Stausee ist beileibe kein Einzelfall. Erst vor kurzem haben Wissenschaftler im Auftrag der UNO zahlreiche Staudämme mit niederschmetterndem Ergebnis untersucht. Vor allem in den Tropen und Subtropen liefern Stauseen mitnichten «saubere Energie» – ganz im Gegenteil. Überall produzieren sie weitaus mehr Treibhausgase als vergleichbare Kohlekraftwerke.
Allein im Einzugsbereich des Amazonas sind noch über hundert weitere große Staudämme geplant. Dies bedeutet: 500.000 Menschen müssen umgesiedelt werden, fast 30.000 Quadratkilometer Wald sind bedroht.
Durchschnittlich zwei neue Staudämme pro Tag
Seit 1950 sind weltweit rund 40.000 neue große Staudämme fertig gestellt worden – das sind durchschnittlich zwei pro Tag. Mindestens 60 Millionen Menschen wurden von ihrem Land vertrieben. Meist trifft die Umsiedlung einfache Bauern und ihre Familien. Fast nie erhalten sie eine angemessene Entschädigung.
Stauseen wirken sich aber auch verheerend auf den Unterlauf der Flüsse und ihre meist artenreichen Mündungsgebiete aus. Biologen führen das weltweite Artensterben in den Flüssen vor allem auf den Bau von Staudämmen zurück. Weil weniger Frischwasser und Nährstoffe bis in die Mündungsregionen gelangen, wird die Nahrung für viele Fisch- und Meerestierarten knapp.
Tragische Doppelmoral
Einige der erkenntnisreichen Forschungen auf diesem Gebiet werden zwar von der Weltbank und einigen Industrieländern finanziert aber leider besteht hier eine tragische Doppelmoral: Trotz der eindeutigen Forschungsergebnisse werden ständig weiterhin hohe Summen an Entwicklungshilfegeldern in den Bau gigantischer neuer Staudämme gesteckt. Der geplante Bujagali Damm in Uganda ist nur eines von vielen Beispielen. Auch dort kamen die Inspekteure der Weltbank nach Untersuchungen schon früh zu dem Schluss, dass das Projekt fast allen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Förderkriterien der Weltbank widerspricht. Doch die Interessen der ausführenden Firmen, sind auch hier offenbar gewichtiger. Und so hat die Weltbank auch für dieses Projekt bereits 225 Millionen Dollar Kredite zugesagt. Und weitere Finanzgarantien wurden bereits in Aussicht gestellt.
Nächste Woche geht es dann aber wirklich richtig weiter mit dem Rucksack durch Venezuela und endlich in die Gran Sabana und zum Roraima. Das Thema Stauseen hat mich seit den Recherchen zum Lake Guri nicht mehr losgelassen, daher war es mir sehr wichtig, das als Einschub einmal loszuwerden. Über Eure Meinung dazu in den Kommentaren freue ich mich wie immer!
Herzlichst, Euer Gunther
Hat Dir der Artikel gefallen?
Dann melde Dich doch bitte zu meinem kostenlosen Newsletter an. Dann bekommst Du eine Nachricht bei neuen Artikeln und Du wirst auch exklusiv als erstes über neue Workshops und Reisen informiert! Außerdem gibt es dort auch immer wieder Hintergrund-Infos, die so nicht im Blog stehen.
Natürlich freue ich mich auch sehr, wenn Du mir bei YouTube, Instagram und Facebook folgst.
Alle Inhalte © Gunther Wegner
*) Mit einem Stern gekennzeichnete Links sind externe Partner-Links. Ihr unterstützt mich, wenn ihr darüber bestellt. Alternativ könnt ihr auch über folgende Direktlinks in die Shops wechseln:
Amazon.de, Amazon.at, Amazon.com, Foto Koch, Augenblicke-Eingefangen, camforpro.com.
Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!