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Die Anden

Wir befin­den uns in Méri­da, inmit­ten von fast 5.000 km hohen Anden­gip­feln. Die Stadt selbst liegt auf 1.630 Meter Höhe am Fuße des höchs­ten Ber­ges Vene­zue­las, dem Pico Bolí­var mit 4.981 Metern. Lei­der ist das Wet­ter heu­te immer noch ver­han­gen, so dass wir den majes­tä­ti­schen Berg von der Stadt aus nicht sehen kön­nen. Der Tele­fé­ri­co, die welt­längs­te Seil­bahn, die auf den benach­bar­ten Pico Espe­jo in einer Höhe von 4.765 Metern führt, ist lei­der wegen Bau­ar­bei­ten gesperrt. So bleibt uns nur, uns in Méri­da nach Alter­na­ti­ven umzu­se­hen, wenn wir die umlie­gen­den Anden ken­nen ler­nen wollen.

Street­li­fe in einer Andenkleinstadt

Ges­tern hat­ten wir bereits bei unse­rem ers­ten Stadt­rund­gang mit einem Fran­zo­sen gespro­chen, der hier in Méri­da eine Tour-Agen­cy betreibt. Er hat­te uns ange­bo­ten, mit dem Auto eine Tour in die nahe gele­ge­nen Ber­ge zu unter­neh­men – zwar nicht das glei­che wie eine Wan­de­rung auf dem Pico Espe­jo, aber immer­hin bes­ser als nichts. Wir woll­ten es uns überlegen.

Nico hat eine furcht­ba­re Nacht hin­ter sich. Irgend­wie hat er sich den Magen ver­stimmt und heu­te mor­gen geht es ihm immer noch nicht wirk­lich bes­ser. Trotz­dem will er unbe­dingt mit und so machen wir uns auf den Weg von der Pousa­da in Rich­tung Méri­da Zentrum.

Erst­mal besor­gen wir für Nico ein paar Zwie­back-Kek­se und für mich ein ordent­li­ches Früh­stück, das heißt, etwas vom Bäcker, einen Kaf­fee und einen frisch gepress­ten Orangensaft.

Stil­voll set­zen wir uns auf eine Bank auf dem lau­schi­gen Platz vor dem gesperr­ten Tele­fé­ri­co. Außer ein paar Ein­hei­mi­schen ist hier um die Zeit nicht viel los.

Wäh­rend wir früh­stü­cken – Nico hält sich noch sehr zurück – spricht uns ein Jun­ge an, ob wir ger­ne einen Aus­flug in die Anden unter­neh­men wür­den. Kann der hell­se­hen? Ja, das hat­ten wir vor. Wir hören wir uns an, was er uns zu erzäh­len hat. Er beschreibt eine sehr ähn­lich klin­gen­de Tour, wie sie uns der Fran­zo­se ges­tern vor­ge­schla­gen hat­te, der Preis ist mit 35.000 Bvs. (ca. 12 €) auch genau­so hoch und unse­rer Mei­nung wirk­lich güns­tig für einen gan­zen Tag.

Bis auf über 4000 Meter schlän­geln sich die Straßen

Um uns zu über­zeu­gen, die Tour mit ihm zu machen, zeigt er uns noch «sei­nen» Van, der steht um die Ecke. Der Jun­ge ist nett, zwei­fels­oh­ne, aber so ganz ver­trau­ens­se­lig sind wir nun auch nicht, dass wir ein­fach zu einem Frem­den ins Auto stei­gen wür­den. Außer­dem wol­len wir den Fran­zo­sen jetzt auch nicht ein­fach über­ge­hen, fair ist fair. Wir gehen also noch­mal zu ihm. Er sagt, er habe erst einen wei­te­ren Teil­neh­mer für die heu­ti­ge Tour, mit mir wären es zwei. Nico hat sich kurz­fris­tig ent­schlos­sen, doch nicht mit zu kom­men, son­dern lie­ber sei­nen Magen in der Posa­da zu scho­nen. Ich den­ke, das ist ver­nünf­tig. Schließ­lich muss er schnell wie­der fit wer­den, unser Trip fängt ja gera­de erst an! 

Eine idyl­li­sche Kapel­le am Wegesrand

Ich sage zu dem Fran­zo­sen, dass es für mich kein Pro­blem sei, wenn die Tour bei ihm nicht zustan­de käme, ich hät­te noch eine ande­re Mög­lich­keit in die Ber­ge zu kom­men, dabei zei­ge ich auf den Jun­gen, der noch an der Ecke bei dem Platz gegen­über steht. 

Aber davon will er natür­lich nichts wis­sen. Einen Kun­den lässt man nicht wie­der von der Angel. Ich sol­le die Tour ruhig bei ihm machen. Okay, sage ich und den­ke, egal, muss er ja wis­sen. Für mich kos­tet es das glei­che und es ist ja eigent­lich auch fair, ich war ja zuerst bei ihm. 

Und plötz­lich geht es ganz schnell. Er ruft den Jun­gen her­an, ein paar Schei­ne wech­seln den Besit­zer und der ande­re Teil­neh­mer und ich stei­gen bei dem Jun­gen in den Van. 

Es stellt sich schnell her­aus, dass es sowie­so die­sel­be Tour gewe­sen wäre, der­sel­be Van. Es ging hier ein­zig und allei­ne dar­um, wer von den bei­den die Pro­vi­si­on bekommt! 

Wir fah­ren also in die Ber­ge. Die zunächst üppi­ge Vege­ta­ti­on wird kar­ger und kar­ger. Wir hal­ten ein paar Mal an um Fotos zu machen. Unten ist es noch bedeckt, aber ab ca. 3.500 Metern Höhe tau­chen wir in die Wol­ken­de­cke ein und das macht jeg­li­che Sicht unmög­lich. Lei­der sind die Wol­ken so hoch, dass wir uns auch auf dem höchs­ten Punkt unse­rer Tour, dem Pico Aguil­la mit 4.300 Metern, inmit­ten der dich­tes­ten Wol­ken­de­cke befin­den und null­kom­ma­nu­ll Sicht haben. Scha­de. Der erhoff­te Durch­bruch durch die Wol­ken­de­cke bleibt aus.

Land­wirt­schaft wie bei uns vor 150 Jahren…

Auf dem Rück­weg hal­ten wir zum Mit­tag­essen an einem klei­nen, ein­hei­mi­schen Restau­rant in einem Berg­dorf. Ich bestel­le eine lecke­re, typi­sche Sup­pe mit Gemü­se und Fleisch­ein­la­ge und danach ein Steak mit Käse über­ba­cken, wel­ches ich kaum schaf­fe. Dazu gibt es die hier so typi­schen geba­cke­ne Bana­nen, wirk­lich ein Gedicht! Die Bana­nen sind nicht so süß wie bei uns und viel fes­ter und wer­den als Bei­la­ge wie Kar­tof­feln gereicht. Super lecker! 

Anden­dör­fer…

Die Rück­fahrt besteht dann aus Regen, Regen, Regen. Scha­de, bei bes­se­rem Wet­ter wäre die Tour bestimmt noch viel schö­ner gewe­sen! Aber auch so hat sie einen guten Ein­druck der hie­si­gen Anden­land­schaft ver­mit­teln können.

Lei­der macht mir kei­ner von den Ein­hei­mi­schen Mut, dass das Wet­ter in den kom­men­den Tagen bes­ser wer­den kön­ne. Daher gehe ich, zurück in Méri­da, noch­mal zu dem Fran­zo­sen. Da er sich hier sehr gut aus­kennt, befra­ge ich ihn zu den Mög­lich­kei­ten der Wei­ter­rei­se von hier aus.

Bei 3500 Metern beginnt die Wolkendecke…

Mit Nico hat­te ich bespro­chen, dass wir von Méri­da aus ver­su­chen wür­den, zunächst nach Osten in die zen­tra­le Tief­ebe­ne der Los Llanos, einem ein­drucks­vol­len Natur­pa­ra­dies, zu fah­ren. Von dort aus wür­den wir dann ver­su­chen uns noch wei­ter nach Süd­os­ten bis hin zum Drei-Län­der-Eck Vene­zue­la, Bra­si­li­en, Guai­a­na durch­zu­schla­gen und dort ver­su­chen, einen der sagen­um­wo­be­nen Tafel­ber­ge zu besteigen.

Gip­fel ohne Sicht!

Pro­ble­ma­tisch an die­sem Vor­ha­ben ist allen­falls, dass es die Rei­se ein­mal mit­ten durch das zen­tra­le Vene­zue­la bedeu­tet und somit durch ein Gebiet, das infra­struk­tu­rell kaum erschlos­sen ist.

Der Fran­zo­se bie­tet mir eine Fahrt zu den Los Llanos an, inklu­si­ve der drei­tä­gi­gen Unter­kunft bei einer ein­hei­mi­schen Fami­lie auf einer ein­fa­chen Ranch mit­ten in der Natur. Das hört sich doch schon mal gut an. Schlecht für unser Vor­ha­ben ist jedoch, dass er uns danach wie­der mit zurück nach Méri­da neh­men möch­te und mir emp­fiehlt, mit dem Flie­ger über Cui­dad Bolí­var und dann nach San­ta Ele­na bei den Tafel­ber­gen zu flie­gen. Die Tickets kön­ne er uns besor­gen. Alles ande­re sei sehr kom­pli­ziert, sagt er.

Das ist ja nun gar nicht in unse­rem Sin­ne. Ers­tens haben wir nicht soviel Zeit, zwei­tens haben wir nicht so viel Geld für die Inlands­flü­ge und drit­tens reizt uns ja gera­de das Aben­teu­er, die­ses Land mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln zu berei­sen und nicht ein­fach mit dem Flug­zeug dar­über hin­weg zu flie­gen. Als ich ihm das erklärt habe, schaut er mich nach­denk­lich an.

Ein Berg­see im Nebel

Naja sagt er, er kön­ne uns schon von der Ranch aus zur nächs­ten Stra­ße fah­ren und wer­de dann eben allei­ne zurück nach Méri­da fah­ren und wir müss­ten dann wir halt sehen wie wir wei­ter kämen. Irgend­wie wer­de das schon gehen. 

Na also, geht doch! Zuver­sicht­lich mache ich die Tour für uns sicher­heits­hal­ber schon mal für mor­gen klar – auch ohne Nico vor­her gespro­chen zu haben. Alles Wei­te­re kön­nen wir dann noch sehen. Vor­sichts­hal­ber zah­le ich aber nur 10.000 Bvs. an. Soll­ten wir es uns noch anders über­le­gen oder es Nico noch nicht bes­ser gehen, wäre das dann auf jeden Fall das gerin­ge­re Übel.

Und in der Tat, lei­der geht es Nico noch nicht viel bes­ser, als ich wie­der in die Posa­da kom­me. Wir grü­beln hin und her, wie es denn über­haupt dazu gekom­men sein kön­ne. Denn alles was er geges­sen hat, habe ich auch geges­sen. Und eigent­lich könn­ten es ja auch nur die Nudeln ges­tern Abend gewe­sen sein. Aber wie gesagt, die habe ich ja auch geges­sen. Ansons­ten hat­ten wir ja nur Obst. Und davon bekommt man sowas nicht. Als wir noch so über­le­gen sagt Nico: naja, und das Leber­wurst­brot. Ich: Wel­ches Leber­wurst­brot? Er: Na, das hat­te ich von zuhau­se noch mit und woll­te es nicht weg­wer­fen. Äh… wann hast Du das denn geges­sen? Ges­tern. Hat­test Du das denn im Hand­ge­päck? Nee, im Ruck­sack – aufgegeben… 

Street­li­fe in einer Andenkleinstadt

Nun hat­te ich kei­ne Fra­gen mehr. Im Flug­zeug­rumpf ist es zwar wäh­rend des Flu­ges recht kühl, am Boden dann aber um so wär­mer. Dazu kam dann noch die Rei­se im Gepäck­fach des Rei­se­bus­ses – und das war auch nicht kli­ma­ti­siert, son­dern ganz im Gegen­teil… Jam­jam. Nico wur­de das jetzt wohl auch klar und schon ver­drück­te er sich wie­der aufs Klo. Oh Mann, der Arme…

Nico wünscht sich nichts mehr, als ein paar Bana­nen und noch mehr Zwie­back. Ich nut­ze die Gele­gen­heit und gehe noch ein­mal allein in die City. Nach dem Besuch im Inter­net­ca­fé, wo ich noch schnell eine Mail nach Hau­se schrei­be, kau­fe ich erst­mal Was­ser und Zwie­back­kek­se und ver­su­che dann noch ein Obst­la­den auf­zu­trei­ben. Lei­der haben die schon alle zu. In mei­ner Not gehe ich in eine Bar, weil ich da von drau­ßen an der Wand eini­ge Bana­nen hän­gen sehe. Offen­bar für Shakes und Cock­tails gedacht. Nach zähem Ver­han­deln kann ich dann dem Bar­kee­per, der offen­bar ohne Bana­nen sein Abend­ge­schäft gefähr­det sieht, eini­ge abrin­gen – eher zum Cock­tail­preis, aber was solls…

Mit mei­ner Beu­te keh­re ich zu Nico zurück und wir hof­fen bei­de, dass es ihm mor­gen bes­ser geht und wir zu den Los Llanos auf­bre­chen kön­nen. Soviel hat­ten wir von die­ser fan­tas­ti­schen Land­schaft gehört, in der Kro­ko­di­le, Ana­con­das und Mil­lio­nen von Vögeln leben sol­len! Ich kann es kaum noch erwar­ten, das zu erle­ben und dort zu fotografieren!

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