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Eine Höllennacht

Die­se nächt­li­che Bus­fahrt erweist sich als super anstren­gend. Die ver­gan­ge­nen 12 Stun­den hän­gen uns in den Kno­chen und der Fah­rer fährt wie ein Hen­ker über die Wasch­brett­pis­te. An Schlaf ist jeden­falls nicht zu den­ken, zumal offen­bar irgend jemand die Fede­rung aus die­sem Bus voll­stän­dig ent­fernt hat. Zudem stellt sich der «per­ma­nen­te Durch­zug, der die Tem­pe­ra­tu­ren rela­ti­viert» jetzt als pene­tran­ter kal­ter Zug her­aus, der sich auch nicht durch Schlie­ßen der Fens­ter abstel­len lässt. Das hat den ein­fa­chen Grund, dass die Fens­ter sich, sofern sie denn über­haupt vor­han­den sind, nicht schlie­ßen lassen!

Dar­über hin­aus läuft auch hier (natür­lich) die gan­ze Nacht die Folk­lo­re in unver­än­der­ter, bzw. – wie es uns vor­kommt – teil­wei­se noch höhe­rer Laut­stär­ke als tags­über. Wir sind jeden­falls heil­froh, dass wir so gegen­wär­tig waren, unse­re Schlaf­sä­cke mit in den Bus hin­ein zu neh­men. Lei­der hel­fen aber noch nicht ein­mal die gegen die Käl­te – gegen das Rüt­teln und die Laut­stär­ke erst recht nicht.

Zusam­men­fas­send kann man sagen, dass wir echt fer­tig sind. Schlaf­man­gel, die Fol­ter durch die pene­tran­te, extrem lau­te und über­steu­er­te Musik, das per­ma­nen­te Gerüt­tel und die Schlä­ge auf die Band­schei­ben, die unbe­que­me Posi­ti­on auf die­sen brett­har­ten Sit­zen. Und das nun schon seit so vie­len Stun­den. Gera­de, als wir den­ken, es kann nicht mehr viel schlim­mer kom­men, hält der Bus an. 

Pau­se? Nein. Kei­ner der ein­hei­mi­schen Pas­sa­gie­re (und das sind alle außer uns) steht auf. Komisch, was ist los? Als wir uns das noch fra­gen, öff­net sich die Tür und es kom­men drei mit MPs bewaff­ne­te und in Kampf­an­zü­gen ste­cken­de Sol­da­ten in den Bus und bedeu­ten wort­los mit ihren Waf­fen, dass wir alle aus­stei­gen sol­len. Es ist beängs­ti­gend. Kei­ner sagt ein Wort. Weder die Sol­da­ten, noch die Pas­sa­gie­re. Letz­te­re ste­hen wort­los lang­sam auf und ver­las­sen in einer Rei­he den Bus. 


Wir hat­ten schon von die­sen Mili­tär­kon­trol­len gehört, sie aber schon wie­der total ver­drängt gehabt. Und jetzt ste­cken wir mit­ten drin. Die gan­ze Situa­ti­on ist echt gru­se­lig. Beson­ders die erge­be­ne Reak­ti­on der Passagiere.

Was bleibt uns denn ande­res übrig, wir müs­sen uns wohl oder übel den Ande­ren anschlie­ßen. Das Gepäck muss offen­bar mit, also neh­men auch wir unser Hand­ge­päck mit raus. Drau­ßen ste­hen wei­te­re Sol­da­ten rum. Zwei von ihnen haben einen Tisch auf­ge­baut, hin­ter dem sie ste­hen. Hier sol­len offen­bar alle per­sön­li­chen Hab­se­lig­kei­ten aus­ge­brei­tet wer­den. Vor dem Tisch, gegen­über der Sol­da­ten, for­miert sich die Schlan­ge der Pas­sa­gie­re. Nach wie vor herrscht abso­lu­te Ruhe. Kein Mur­ren, kein Meckern. Man stel­le sich die­se Situa­ti­on in Deutsch­land vor. Mit­ten in der Nacht, eine Per­so­nen­kon­trol­le auf der Auto­bahn. Da wür­de mit Sicher­heit das eine oder ande­re böse Wort fal­len. Hier aber nicht. Gar nichts.

Ich schaue mir die Lage an. Die Sol­da­ten als Per­so­nen wir­ken auf mich nicht so ein­schüch­ternd. Der eine ist viel­leicht 14, der ande­re etwa 18. Es ist eher die Gesamt­si­tua­ti­on, die uns beun­ru­higt – denn wir wis­sen von der Will­kür, die von sol­chen zu Macht gekom­me­nen Indi­vi­du­en oft aus­ge­übt wird.

Der Älte­re guckt gelang­weilt, er hält sich offen­bar für den Chef, der Bubi kon­trol­liert die Taschen. Einer nach dem ande­ren fan­gen die Vene­zo­la­ner an, ihre Taschen aus­zu­lee­ren. Wort­los. Wie­der die­se gespens­ti­sche, zom­bie­haf­te Erge­ben­heit. Oh Mann, den­ke ich noch so und dann fällt es mir wie­der sie­dend heiß ein. Ich habe mein Glock Kampf­mes­ser in der Tasche. Und die Spie­gel­re­flex. Und mei­nen MP3 Play­er mit den gan­zen Bil­dern der bis­he­ri­gen Rei­se drauf. Gele­gen­heit weckt Begehr­lich­kei­ten. Schei­ße. Hof­fent­lich zocken die uns die Sachen nicht. Einen faden­schei­ni­gen Grund könn­ten Sie ohne Pro­ble­me her­bei­zau­bern, und wer will ihnen da groß wider­spre­chen? Und hof­fent­lich kom­men die nicht auf die Idee, hin­ten aus der Luke des Bus­ses unse­rer Ruck­sä­cke aus­zu­la­den und die auch noch zu fil­zen! Dar­auf hät­ten wir ja über­haupt kei­ne Lust. Wir sind müde und wol­len ein­fach weiter.

Ein ande­rer Tra­vel­ler hat­te uns von jeman­dem erzählt, den er kürz­lich getrof­fen hat und der auch mit einem Freund unter­wegs durch Vene­zue­la war. Aus irgend­wel­chen Grün­den sind die bei­den eine Stre­cke getrennt mit dem Bus gefah­ren und bei einer Kon­trol­le des Bus­ses sei­nes Freun­des haben sie wohl Dro­gen in einem der Gepäck­stü­cke eines ande­ren Pas­sa­giers gefun­den. Dar­auf­hin wur­den alle Pas­sa­gie­re pau­schal für 24 Stun­den in den Knast gesteckt. Und glaubt mir, die sind in Vene­zue­la nicht wie in Deutsch­land mit mit Ten­nis­platz und Sau­na aus­ge­stat­tet… Na vie­len Dank auch.

So, jetzt sind wir an der Rei­he. Was bleibt uns denn ande­res übrig, als gute Mie­ne zum bösen Spiel zu machen. Wir haben ja gar kei­ne Wahl, also packen wir unse­re Taschen auch aus. Bubi fin­det das Glock. Es steckt in der Schei­de und ist arre­tiert. Das Glock hat so einen Spezialverschluss,
man muss in einem bestimm­ten Win­kel dage­gen drü­cken, erst dann lässt sich das Mes­ser aus der Schei­de zie­hen. Bubi ver­sucht sich dar­an, aber es klappt nicht. 

Ich den­ke – oh Mann. Oder bes­ser: Jun­ge, Jun­ge. Rat­los gibt er es irgend­wann sei­nem Kol­le­gen und auch der han­tiert damit rum. Nach eini­gen erfolg­lo­sen Ver­su­chen gibt auch die­ser auf, drückt es mir in die Hand und fragt mich dann, wie es auf­gin­ge. Etwas pein­lich ist ihm das offen­bar schon, er bemüht sich aber, sich nichts anmer­ken zu las­sen. Ich neh­me es, drü­cke mit dem Dau­men die Siche­rung hoch, und ich weiß nicht mehr, ob ich das Wort «Kin­der­si­che­rung» nur gedacht habe oder auf deutsch sogar mit erns­ter Mie­ne aus­ge­spro­chen habe – jeden­falls zie­he ich das Mes­ser her­aus und gebe es ihnen. Sie betrach­ten es bei­de. Dann ste­cken Sie es in die Schei­de zurück und geben mir mei­ne Tasche wie­der ohne da noch wei­ter rein­zu­se­hen. Irgend­wie scheint ihnen das Mes­ser trotz ihrer eige­nen Bewaff­nung offen­bar impo­niert zu haben :-). 

Zum Glück wol­len sie das Gepäck in der Gepäck­lu­ke des Bus­ses nicht sehen. Hier muss man sich dann aller­dings schon ein­mal die Fra­ge stel­len, wel­chem Zweck die­se Kon­trol­len dann eigent­lich dienen? 

Vor­der­grün­dig wird natür­lich nach Dro­gen oder Schmug­gel­wa­re gesucht, das ist aber unse­rer Ver­mu­tung nach, nur am Ran­de wich­tig. Denn sind wir mal ehr­lich: Wenn wir schmug­geln woll­ten, dann doch in der Regel im Ruck­sack oder Kof­fer aber doch nicht im Hand­ge­päck, oder?

Wir haben eher den Ver­dacht, und die­ser soll sich noch bestä­ti­gen, dass die­se Kon­trol­len eigent­lich nur einem ein­zi­gen Zweck die­nen: der Ein­schüch­te­rung der Bevölkerung. 

Das gan­ze Ver­hal­ten der Bevöl­ke­rung, so wie wir es bis­her erlebt haben – nicht nur bei den Kon­trol­len – zeigt, dass die Stra­te­gie des Regimes offen­bar Erfolg hat. Kei­ner muckt. Kei­ner beschwert sich. Kei­ner redet ein Wort. Spä­ter erfah­ren wir, dass auch die «Par­ty-Musik» von der Regie­rung ver­ord­net ist. Wahr­schein­lich auch die Messe.

Wei­ter geht die Fahrt. Der­ar­ti­ge Mili­tär­kon­trol­len müs­sen wir die­se Nacht noch 3–4 wei­te­re Male über uns erge­hen las­sen. Lus­tig fin­det das kei­ner. Die Käl­te, der man­geln­de Schlaf, die lau­te Musik, das Rüt­teln und dann auch noch die ner­vi­gen Stopps bei die­sen bis an die Zäh­ne bewaff­ne­ten Typen. Jedes Mal müs­sen wir unse­re Sachen aus- und danach wie­der ein­pa­cken. Zum Glück wer­den wir ansons­ten in Ruhe gelas­sen, uns wird nichts weg­ge­nom­men und wir müs­sen auch kein ein­zi­ges Mal die gro­ßen Ruck­sä­cke aus­pa­cken. Als wir mor­gens um 4 in Cui­dad Bolí­var ankom­men, sind wir rest­los fertig.

Auf­wa­chen und aus dem Bus stei­gen ist fast eins, als wir rali­sie­ren, dass wir schon Cui­dad Bolí­var sind. Wie­der ein­mal viel frü­her, als angekündigt. 

Wir sind heil­froh, dass wir von dem Durch­zug und der lau­ten Musik erlöst sind. Wir neh­men für 5.000 Bvs. ein Taxi zum Flug­ha­fen und las­sen uns zwi­schen­durch noch an einem Geld­au­to­ma­ten abset­zen, wo wir Geld für die Wei­ter­rei­se abheben. 

Wir haben jetzt meh­re­re Optio­nen. Zum einen wol­len wir natür­lich auf den Mt. Rorai­ma bei St. Ele­na, zum ande­ren locken die Was­ser­fäl­le in Canaí­ma, was irgend­wo zwi­schen Cui­dad Bolí­var und St. Ele­na liegt. Offen ist noch, ob wir auf dem Hin- oder auf dem Rück­weg über Canaí­ma fah­ren. Wir ten­die­ren eher zum Rück­weg. Wie dem auch sei, wir wol­len uns einen Flug orga­ni­sie­ren. Der Über­flug über die Gran Saba­na erscheint uns ein­fach zu reizvoll!

Der Flug­ha­fen hat noch zu und wir set­zen uns erst­mal auf den Bür­ger­steig. Und jetzt schlägt die Müdig­keit gna­den­los zu. Wir sind seit fast 24 Stun­den wach und haben eine ech­te Höl­len­tour hin­ter uns.

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