Als wir aufstehen, ist es noch stockdunkel. Schnell packen wir die restlichen Sachen in die Rucksäcke wecken Juan. Immer noch frage ich mich, ob er es ehrlich mit uns meint. Aber das werden wir ja gleich erleben. Allein in der Wildnis.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde Offroad-Strecke erreichen wir eine Weggabelung an der der Erdweg wieder auf eine Straße mit Stromleitungen stößt. Das ist ja schonmal ein gutes Zeichen. Aber sonst ist hier weit und breit nichts. Gar nichts. Und Juan hält an. Hier sollen wir aussteigen. Der Bus käme bestimmt gleich.
Okay… Wir gucken uns an. Was sollen wir machen, da müssen wir jetzt durch. Es ist ja mittlerweile hell geworden und hier werden wir schon irgendwie wegkommen – selbst wenn es keinen Bus gibt.
Wir schnappen uns also unsere Rucksäcke und springen aus dem Wagen. «Ach ja», sage ich noch zu Juan, «das Geld von der Anzahlung, das Du uns noch schuldest – das kannst Du behalten!» Er tut natürlich so, als ob er das komplett vergessen habe und zeigt große Freude darüber… Klar – gerne geschehen :-)
So – da stehen wir nun am Straßenrand. Wir stellen erstmal unsere Rucksäcke in den Staub und warten. Auf den Bus. Oder eine andere Gelegenheit, weiter zu kommen. Ein Anhalter in den nächsten Ort würde es ja auch tun.
So gut es geht, arrangieren wir uns mit den Rucksäcken, denn der Bus ist ziemlich voll.
Busfahren im Ausland finde ich ja immer spannend. Und ich meine damit noch nicht mal die großen Schlaf- und Reisebusse. Sondern die kleinen Busse im Landesinneren. In denen die Menschen zur Arbeit, zur Kirche, zum Markt fahren. Dort erlebt man die Bevölkerung in ihrem Tagesablauf. So wie hier. Jeden Einzelnen könnte man fragen, wo er hin will – und er könnte eine Geschichte erzählen.
Aber irgend etwas ist in diesem Bus komisch. Ich brauche einen Moment um es zu deuten. Gutes Wetter, stimmungsvolle Musik, südländische Atmosphäre… Das ist es. Südamerikanisches Flair und gute Laune sind hier überhaupt nicht zu spüren. Die Menschen sitzen alle total teilnahmslos auf ihren Sitzen und starren nach vorne. Keiner wippt zur Musik. Keine lauten aufgeregten Gespräche, wie das in Brasilien der Fall wäre. Alle gucken hier, als ob sie zu einer Beerdigung fahren. Teilnahmslos. Sehr seltsam.
Um nach San Fernando de Apure zu kommen, müssen wir zwischendrin noch ein mal umsteigen. Das hatte mir der Busfahrer noch beim Einsteigen mitgegeben. Aber das stellt sich als kein Problem dar. Der zweite Bus steht schon in einem kleinen Dorf und wartet. Ich bin schon sehr gespannt, wie die Stimmung dort sein wird.
Der Bus, in den wir nun umsteigen, ist schon so voll, dass wir keinen Sitzplatz mehr bekommen und uns vorne bei dem Fahrer auf eine Art Ablage setzen müssen. Das Gepäck werfen wir als erstes da drauf und dann setzen wir uns halb auf die Rucksäcke.
Hier ist jetzt keine Folklore mehr am Start, sondern es wird eine heilige Messe übertragen. Allerdings zu unserem Leidwesen – und offenbar auch dem der anderen Passagiere – in der gleichen Lautstärke wie eben noch die Musik.
Schlagartig wir uns klar: heute ist Sonntag! Vielleicht wollten die Passagiere des anderen Busses ja wirklich alle zur Kirche oder auf eine Beerdingung und waren deswegen so in sich gekehrt?
Und so sitzen wir nun in dem gerammelt vollen Bus den anderen – ausnahmslos einheimischen – Passagieren genau Auge in Auge gegenüber. Was für eine Show. Normalerweise müssten die doch jetzt anfangen über die komischen Gringos mit ihren riesigen Rucksäcken zu schnattern. Immerhin sitzen wir direkt auf dem Präsentierteller – eine skurrile Situation. Aber auch hier blicken wir nur in teilnahmslose Gesichter. Ob die in Gedanken bei dem Prediger sind? Irgendwie wirkt es eher nicht so. Alles in Allem ist das schon sehr, sehr skurril…
Nach einer Stunde – Messe – kommen wir in San Fernando de Apure an. Nicht wirklich bekehrt aber hungrig, versuchen wir am Busbahnhof etwas Essbares zu bekommen. Es gibt zwar wirklich viel Zeug zu kaufen, aber irgendwie nichts, was uns vorschwebt. Uns würde ja schon ein Sack Mandarinen oder ein paar Bananen reichen, aber Pustekuchen. Kein Obst, stattdessen massenhaft süßes, klebriges, buntes Zeug. Irgendwie unbefriedigt kaufen wir einen süßen, staubtrockenen Kuchen und warten auf den nächsten Bus, der uns nach Porto Ajacucho am Orinoco bringen soll. Diese Fahrt wird den restlichen Tag in Anspruch nehmen, wir schätzen so 5–6 Stunden.In diesem Bus ist wieder Musik angesagt. Wieder bis zum Anschlag aufgedreht. Nach ca. einer Stunde kennen wir die ersten Stücke schon, da sich diese relativ häufig wiederholen. Club-Rotation. Nach 2 Stunden finden wir das ganze nicht mehr stimmungsvoll, sondern nur noch nervig. Zumal die Qualität der Boxen offenbar in umgekehrten Verhältnis zur jeweils in den Bussen gewählten Lautstärke steht.
Zwischendrin halten wir einige male an. Der Fahrer macht Stopps, um weitere Passagiere einzusammeln und an einigen Stationen zum Aus- und Füße vertreten. Insgesamt müssen wir 3 Flüsse mit Fähren überqueren. Das hatte uns Juan auch schon erzählt. Vor einer Fähre steigen wir jeweils aus und gehen zu Fuß auf die Fähre. Auf beiden Seiten der Flüsse haben sich Händler niedergelassen, die alles Mögliche anbieten. Bei einem der Stopps steigt uns der verführerische Duft von gegrilltem Fleisch in die Nase. Wie hungrige Hunde schnuppern wir und gehen dem Geruch nach, da wir seit gestern abend ja außer dem trockenen Kuchen nichts zu essen hatten. Als wir die Quelle des Geruchs sehen, das Fleisch über dem Feuer, läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Aber dann passiert es. Wir schauen in die Hütte rein und da hängt das noch nicht gegrillte Fleisch. Über und über mit Fliegen überseht und ohne Kühlung bei gefühlten 40 Grad im Schatten.Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, wie enttäuscht sich unsere hungrigen Mägen jetzt fühlen. Aber dieses Risiko können und wollen wir nicht eingehen. Wir haben beide diesen Urlaub schon unsere Erfahrungen in ausreichendem Maße gemacht.
Weiter geht es mit dem Bus über absolute Holperstrecken. Keine Frage, interessant ist die Fahrt. Die steppenartige Landschaft ist zwar recht abwechslungslos, aber es ist interessant, die Menschen in den Bussen zu beobachten. Eine fröhliche Stimmung kommt allerdings auch in diesem Bus nicht auf. Alle wirken irgendwie teilnahmslos.
Draußen gibt es jetzt Savanne und Steppe wohin das Auge reicht. Alles ist sehr trocken und es ist auch sehr heiß. Gerade im Bus. Wie gut, dass alle Fenster auf sind! Das Gefährt dübelt über die Schlaglöcher und zieht eine riesige Staubwolke hinter sich hier. Wir haben dank der offenen Fenster einen permanenten Durchzug, der zum Glück die Temperaturen etwas relativiert.Ungefähr eine Stunde vor Porto Ayacucho hält der Fahrer einen entgegenkommenden Bus per Lichthupe an und bedeutet uns, dass wir hier umsteigen sollen, der Bus fahre direkt nach Cuidad Bolívar. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, schnappen unser Gepäck und springen raus und in den anderen Bus. Der Fahrer verstaut unsere Rucksäcke wieder im Gepäckfach im Rumpf des Busses. Und wieder sind wir geistesgegenwärtig und nehmen unsere Schlafsäcke raus, obwohl uns tierisch heiß ist. Aber wir wissen, die Nacht werden wir in diesem Bus verbringen. Und vermutlich wird es dann nicht mehr so warm sein. Als wir eingestiegen sind, stellen wir fest, dass dieser Bus noch schäbiger ist, als alle anderen zusammen. Zerfetzte Polster, klappernde Fenster, zum Teil ohne Scheiben und, wie wir schon nach einigen Metern feststellen können, keinerlei Federung.
Aber immerhin sind noch zwei Sitzplätze frei. Als wir es uns – so gut es irgendwie geht – bequem gemacht haben, schauen wir zur Orientierung auf unsere Karte. Und in der Tat, wir haben durch die Freundlichkeit und das Mitdenken des letzten Busfahrers mindestens 2 Stunden gespart! Ohne ihn hätten wir noch eine Stunde nach Porto Ayacucho fahren müssen, dann wer weiß wie lange auf den nächsten Bus nach Cuidad Bolívar warten, und dann nochmal die eine Stunde zurück, bevor die Strecke nach Cuidad Bolívar, auf der wir uns jetzt befinden, begonnen hätte. Diese Einsparung kommt uns natürlich sehr gelegen, denn auch so haben wir insgesamt eine Tour von mindestens 24 Stunden zu bewältigen. Und davon haben wir derzeit noch nicht einmal die Hälfte rum.
Die Landschaft wird jetzt abwechslungsreicher. In der sinkenden Abendsonne und im Kontrast zu dem hinter uns liegenden Tag ist sie hier wirklich sehr schön! Leider wird es jetzt sehr schnell dunkel, so dass wir davon nicht mehr lange etwas mitbekommen.
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Liebe Reisende,
mein Mann wird demnächst Venezuela bereisen – auf eigene Faust! Natürlich machen wir uns Gedanken, denn trotz einiger Reiseerfahrung scheint dieses Land nicht ganz ungefährlich.
Wie seht Ihr das?
Passt auf Euch auf und lasst uns weiterhin teilhaben an Eurer faszinierenden Reise.
Hallo Susanne, zunaechst mal herzliche gruesse aus Costa Rica :-) Ich kann Deine Frage leider nicht pauschal beantworten – ich denke mit der noetigen Vorsicht und dem Meiden der Staedte und Straende bei Nacht kann man sich recht sicher bewegen. Wir haben uns die allermeiste Zeit sicher gefuehlt!
Mehr, wenn wir zurueck sind…
Gruesse
Gunther