Aufwachen und aus dem Zelt schauen ist eins: Was für eine Kulisse! Der Sonnenaufgang taucht den Tepui und die Gran Sabana in goldenes Licht. Das Wetter scheint also wirklich zu halten, was es gestern versprochen hat!
Gestört wird die ansonst perfekte Idylle nur von der Gruppe Amerikaner, die das Lager bevölkern. Einer hat sogar ein Radio dabei. Ein Radio. Hier. Warum nur?? Auch Balbinas nett gemeinte Frage «Tee oder Kaffee?» reißt uns aus der Bewunderung für dieses Naturschauspiel. Oh Mann, das geht gar nicht. Wir müssen nachher unbedingt mal mit ihr reden…Nico und ich packen derweil schonmal unsere Sachen zusammen um möglichst bald loszukommen. Wir wollen dem Trubel so gut es geht entkommen und haben uns daher vorgenommen, so früh wie möglich aufzubrechen und so die unberührte Landschaft genießen zu können.
Plötzlich zieht Nico seine Schuhe und Socken aus, kramt aus seinem Rucksack eine Rolle silbernes Panzertape und beginnt sich damit die nackten Füße zu bekleben. Entsetzt starre ich ihn an – «was machst Du denn da??» Er zeigt mir seine offenen Füße. Offenbar hat er sich gestern, am ersten Tag, schon mächtige Blasen gelaufen bei denen sich mittlerweile schon die Haut abgelöst hat. Was er da macht, will mir allerdings nicht in den Kopf: Das Tape wickelt er sich sorgfältig um die Füße und klebt es dabei direkt auf die offenen Stellen – selbst beim Aufschreiben wird mir noch schwindelig beim Gedanken daran. Aber er schwört darauf. «Besser als auf den offenen Wunden zu laufen», sagt er. Ich frage mich nur – wie will er das jemals wieder abbekommen?Zum Frühstück gibt es Rührei mit Arepas, dazu äußere ich mich jetzt nicht mehr. Uns hätten ein paar Kräcker gereicht.
Gleich danach brechen wir auf. Balbina erklärt uns den Weg, der uns heute über 2 Flüsse führen wird, und sagt, wir sollen am 2. Fluss, dem Rio Kukenán warten, weil uns die Indos dort helfen würden, rüberzukommen. Jaja denken wir – und was das heißt, weiß nicht nur der Hamburger :-) uns ist klar: das werden wir schön alleine in Angriff nehmen!
Der erste Fluss befindet sich gleich am Camp, es ist derjenige, in dem wir gestern abend gebadet haben. Und schon hier heißt es: Schuhe ausziehen. Wir beherzigen den Tipp, den die Indios uns noch mitgegeben haben, und zwar, auf Socken durch die Flüsse zu waten, um mehr Grip auf den glitschigen Steinen zu haben. Mit unseren Schuhen in den Händen überqueren wir diesen einfachen weil sehr flachen Fluss. Der Grip ist wirklich gut, gerade mit dem ganzen Gepäck auf dem Rücken hätten wir auf den nassen, moosigen Steinen sonst kaum Halt gehabt. Aber leider sind unsere Socken und Nicos ganze Tape-Arie nach dieser Aktion jetzt erstmal nass und da ich nur 2 Paar Socken mitgenommen habe, die ich normalerweise zum Wandern übereinander ziehe, muss ich jetzt ausschließlich in den dünnen – noch trockenen – Socken laufen. Mal sehen, wie sich das auswirkt.
Der Rio Kukenán kommt nach ca. 1 Stunde Wanderung in Sicht. Die Sonne brennt mittlerweile erbarmungslos auf uns hinab. Die gestern noch vorhandenen vereinzelten Waldstücke gibt es hier nicht mehr. Nur Steppe und Sonne. Der Fluss verspricht aber Erlösung. Von einem Hügel aus sehen wir ihn und steigen schnell hinab mit der Hoffnung auf Erfrischung.
Wow. Dieser Fluss hat es in sich. Er ist ungleich größer, tiefer und viel reißender als der Erste. Jetzt ist unser Ehrgeiz geweckt. Natürlich werden wir die Überquerung alleine probieren. Ich lege mein Gepäck ab um erstmal so zu checken, wo die beste Stelle für die Überquerung ist.
Nico versucht es direkt. Während ich noch vorsichtig ins Wasser steige, versucht er sein Glück schonmal mit der Durchquerung. Relativ schnell muss er er allerdings auch feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Während ich mir noch meinen Weg ohne Gepäck suche, muss er wegen der starken Strömung an der von ihm gewählten Stelle erstmal umkehren.
Nico kommt zurück, und wir beratschlagen. Ihm fällt ein Tipp aus dem Survival-Buch von Rüdiger Nehber ein. Nehberg schlägt dort vor, für solche Flussdurchquerungen immer eine Stange zur Hilfe zu nehmen, als drittes Bein sozusagen, um eine bessere Stabilität zu haben. Die Stange stellt man in Fließrichtung in den Fluss und stützt sich damit etwas gegen die Strömung. Beim Versetzen eines Beines oder der Stange hat man so immer noch zwei weitere «Stützen» im Wasser.
Wir beschließen, es mit der Stange zu versuchen. Nico macht sich auf die Suche nach einer Stange und ich probiere derweil einige Stellen in dem Fluss aus. Nach einigem experimentieren finde ich auch eine, die machbar erscheint – obwohl auch hier das Wasser mindestens Hüfttief ist und eine wirklich heftige Strömung hat. Mit dem Rucksack auf dem Rücken wird das ganz schön heikel werden.
Nico hat mittlerweile eine Stange aufgetrieben und versucht als erster sein Glück an der Stelle, die ich ausgemacht habe. Aber auch eine Stange ist keine Garantie: auf halben Weg rutscht er ab und geht mitsamt seinem ganzen Gepäck baden. Zum Glück kann er sich noch aufrappeln, bevor ihn die Strömung Flussabwärts treibt und erreicht kurze Zeit später das rettende Ufer.
Ich schnappe mir meinen Rucksack, hänge mir die Schuhe um den Hals, nehme die Stange, die er mir rübergeworfen hat, und wate ihm nach. Die Stange ist eine gute Hilfe, trotzdem ist es in dem hüfttiefen Wasser bei der Strömung wahrlich nicht einfach, das Gleichgewicht zu behalten. Aber zum Glück habe ich eine große Plastiktüte im Rucksack, in der ich alle Sachen verpackt habe, so dass ich um meine Kamera und den Imagetank mit den Bildern keine so große Angst haben muss. Trotz einiger Schwierigkeiten komme ich trocken auf die andere Seite.Später stellt sich heruas, dass Nico keine Plastiktüte im Rucksack hatte, und sein Inhalt dementsprechend nass geworden ist. Zu allem Überfluss hat er bei der Aktion auch noch sein Messer verloren. Aber immerhin sind wir auf die andere Seite gekommen, ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Jetzt können wir entspannt auf Balbina und die anderen warten, noch ein erfrischendes Bad nehmen und gemütlich dabei zusehen, wie sie den Fluss bezwingen. Derweil packt Nico seine Sachen aus, um sie auf den warmen Steinen zu trocknen.
Zwanzig Minuten später tauchen die anderen auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses auf. Bevor sie sich an die Überquerung machen, nehmen sie erstmal ein Bad. Und dann kommts. Während sie im Wasser planschen, lassen sie sich «the easy way» ihre Rucksäcke von den Indios rüberbringen. Geht’s noch? Selbst Fidel, unser großer Abenteurer, ist sich nicht zu schade, sich seine Sachen rübertragen zu lassen. Wir schauen fassungslos zu.Mit einer gewissen Genugtuung sehen wir, dass der Indio die gleiche Technik wie wir anwendet. Und, dass er trotzdem – wie wir – seine Schwierigkeiten bei der Überquerung hat. Wir sind jedenfalls froh und stolz, dass wir es alleine geschafft haben, wo bliebe denn sonst das Abenteuer?!
Nico hat mittlerweile seine Füße erneut getaped… Seine Blasen sind mittlerweile noch heftiger geworden und ich nenne ihn «Captain Silverfeet» wegen des ganzen silbernen Duck-Tapes. Und ich weiß jetzt auch, wie er das Tape von den offenen Stellen wieder abbekommt… :-/Als alle drüben sind, setzen wir uns wieder an die Spitze und ziehen stramm durch, um vor den anderen zu laufen. Der Aufstieg heute ist wesentlich anstrengender als gestern. Insbesondere die Sonne macht uns zu schaffen.
Gegen 3 Uhr nachmittags kommen Nico und ich an dem Basecamp direkt unterhalb des Roraima an. Wir sind schon etwas erledigt, bauen aber als erstes unser Zelt auf, wir haben ja noch die freie Platzwahl. Wir stellen es so, dass wir sowohl die imposante, alles überragende Wand es Roraima direkt über uns sehen, als auch einen fantastischen Ausblick auf die Gran Sabana, die mittlerweile schon etwas unter uns liegt, haben. Leider muss ich feststellen, dass auch ich mir mittlerweile ein paar Blasen eingefangen habe. Das Wandern in den dünnen Socken hat also doch seine Folgen gehabt… Merke: Nächstes Mal 2 Paar dicke Socken mitnehmen!Wir entspannen jedenfalls jetzt erstmal bei ein paar Crackern und frischem Quellwasser und warten auf die anderen…
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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Mallory Farrugia