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Gefährliche Gegend

Es ist 3 Uhr nachts, wir ste­hen im Schein der Queck­sil­ber­dampf­lam­pen und dem Qualm hun­der­ter lau­fen­der Bus­mo­to­ren am Bus­bahn­hof von Puer­to La Cruz. Der nächs­te Bus an der Küs­te ent­lang nach Osten fährt erst «wenn es hell wird», wie uns ein Bus­fah­rer mit­ge­teilt hat. Ein rich­ti­ges Ziel haben wir noch nicht, wir wol­len nur schnell raus aus die­ser Stadt und an den Strand. Kari­bik – so wie wir uns das vor­ge­stellt haben.

Die zwei ande­ren Ruck­sack­rei­sen­den, die mit uns im Bus waren, ste­hen auch wie Falsch­geld her­um. Wir gesel­len uns zu ihnen und spre­chen sie an. Sie sind ein Paar aus Neu­see­land (wir lagen mit unse­ren Tipps also bei­de falsch) und gera­de aus Man­aus angereist.

Geteil­tes Leid ist ja bekannt­lich hal­bes Leid und so besor­gen wir erst­mal bei einem der zahl­rei­chen «Cafézinho»-Verkäufer, die hier her­um­lau­fen, vier Kaf­fee zum wach wer­den. Die Jungs lau­fen hier mit gro­ßen Ther­mos­kan­nen mit schon gesüß­tem Kaf­fee her­um, den Mam­ma gekocht hat, und fül­len die­se in Plas­tik­be­cker mit dem Fas­sungs­ver­mö­gen einer hal­ben Espres­so­tas­se. Aber das biss­chen Kaf­fee ist wenigs­tens stark und schmeckt! Genau das, was wir jetzt brauchen.

Ich habe über­haupt kei­ne Lust noch 3 Stun­den auf die­sem stin­ki­gen und lau­ten Bus-Ter­mi­nal zu warten

Die bei­den Neu­see­län­der erzäh­len, dass sie nach San­ta Fé wol­len, ein bekann­ter Aus­stei­ger-Ort eini­ge Kilo­me­ter wei­ter öst­lich an der Küs­te. Ich hat­te mir das schon auf der Kar­te und im Rei­se­füh­rer ange­se­hen und San­ta Fé zwar auch als Ziel ins Visier genom­men, aber eigent­lich ist mir das schon fast zu weit, vor­her waren noch eini­ge ande­re Küs­ten­or­te beschrie­ben, die sich von der Beschrei­bung her auch sehr nett, fast noch net­ter, anhör­ten. Nico ist das egal. Er will sich am liebs­ten gleich den Neu­see­län­dern anschlie­ßen. Haupt­sa­che hier weg. Wir erkun­di­gen uns also nach dem ers­ten Bus nach San­ta Fé. Aber der geht lei­der – wie ja auch nicht anders zu erwar­ten war – auch erst um halb Sieben.

Ich habe wirk­lich über­haupt kei­ne Lust noch 3 Stun­den auf die­sem stin­ki­gen und lau­ten Bus-Ter­mi­nal rum­zu­ho­cken. Davon krie­ge ich rich­tig schlech­te Lau­ne. Ich muss hier weg. Ich schla­ge Nico daher vor, zu dem – laut dem Stadt­plan im Gui­de nur 500 Meter ent­fern­ten – Strand zu gehen und dort in Ruhe auf den Son­nen­auf­gang zu war­ten, um die Zeit zu über­brü­cken. Nico will eigent­lich lie­ber am Ter­mi­nal blei­ben, lässt sich aber dann von mir über­re­den. Wir ver­ab­schie­den uns also von den Neu­see­län­dern und sagen ihnen, wir sei­en recht­zei­tig zu dem Sechs­uhr­dreis­sig­bus wie­der da. Dann schul­tern wir unse­re Ruck­sä­cke und mar­schie­ren los. 

Ich ver­su­che mich zu ori­en­tie­ren, im Dun­keln und bei der schlech­ten Beleuch­tung ist es gar nicht so ein­fach, den Stadt­plan «ein­zu­n­or­den» und nicht aus Ver­se­hen in die fal­sche Rich­tung zu lau­fen. Infol­ge­des­sen blei­be ich an der ers­ten Kreu­zung, noch in unmit­tel­ba­rer Nähe zu dem Bus-Ter­mi­nal, ste­hen und stu­die­re noch ein­mal den Plan.

«Guck mal, wenn das die Stra­ße ist, dann müss­ten wir doch eigent­lich dort der Strand sein» sage ich zu Nico und deu­te auf die Karte. 

«Ich weiß gar nicht, was Du da über­haupt willst, lass uns doch ein­fach auf dem Bus­bahn­hof war­ten.» ist sein erneu­ter, mür­ri­scher Kommentar. 

«Ach komm, dort ist es viel ruhi­ger, wir hau­en uns an den Strand, legen uns in unse­re Schlaf­sä­cke und war­ten, bis es hell wird» sage ich. «das haben wir in Grie­chen­land immer so gemacht» füge ich noch hinzu.

Sei­ne Hand formt aus Zei­ge­fin­ger und Mit­tel­fin­ger den Lauf einer ima­gi­nä­ren Pis­to­le, die er sich an die Schlä­fe hält

Nico nimmt sich wie­der­wil­lig den Stadt­plan, um zu bestä­ti­gen, dass die von mir ange­deu­te­te, die rich­ti­ge Rich­tung ist, da hält ein Moped mit 2 Poli­zis­ten dar­auf neben uns an.

«Wo soll es denn hin­ge­hen?» fragt der eine. 

«Vamos a la playa» ant­wor­te ich.

Er schaut mit mit einem schwer zu deu­ten­den Blick an. «No» ant­wor­tet er und fügt dann hin­zu «go to the ter­mi­nal and wait the­re for your bus!». 

Ich wech­se­le auch auf Eng­lisch. «We would rather go to the beach and wait there!»

Sei­ne Ant­wort dar­auf ist genau­so knapp, prä­zi­se wie ein­dring­lich. «No» wie­der­holt er und schüt­telt dabei die­semal den Kopf. Jetzt hebt er sei­ne lin­ke Hand. Damit formt er aus Zei­ge­fin­ger und Mit­tel­fin­ger den Lauf einer ima­gi­nä­ren Pis­to­le und hält sie sich an die Schläfe.

Die­se und die dar­auf fol­gen­de Ges­te sind inter­na­tio­nal und über alle Sprach- und Kul­tur­bar­rie­ren hin­weg sehr unmiss­ver­ständ­lich und sie füh­ren dazu, dass nun auch mein Bedürf­nis, den Strand auf­zu­su­chen, erheb­lich ins Wan­ken gerät. 

Ich weiß. Wir sehen aus wie Grin­gos. Wir haben Ruck­sä­cke mit unse­ren gesam­ten Sachen dabei. Wir ken­nen die Gegend nicht. Es ist dun­kel. Wir befin­den uns in einer Groß­stadt in Vene­zue­la. Viel­leicht ist die­ser nächt­li­che Strand­be­such wirk­lich nicht die aller­bes­te Idee. 

Nicos hab-ich’s‑Dir-nicht-gleich-gesagt-Blick macht mei­ne Lau­ne nicht gera­de bes­ser. Er braucht sowie­so kein wei­te­res Wort, er ist schon wie­der auf dem Weg zum Bus­termi­nal. Von mei­nem Plan war er ja ohne­hin in keins­ter Wei­se über­zeugt. Ich fol­ge ihm. Die Poli­zis­ten geben Gas und ver­schwin­den im nächt­li­chen Puer­to La Cruz.

Nicht ein­mal 10 Minu­ten nach unse­rem Fort­ge­hen ste­hen wir also wie­der neben dem Neu­see­län­dern und ich sage nur frus­triert: «don’t ask…»

Also war­ten wir hier gemein­sam auf den Bus, der ja dann «schon» in 3 Stun­den kom­men soll. So lang­sam brau­chen wir wirk­lich mal ein biss­chen Entspannung. 

Ein paar Minu­ten spä­ter hält ein Bus in der Park­bucht direkt neben uns für eine kur­ze Pau­se. Carú­pa­no steht vor­ne auf dem Schild. War­te mal, Carú­pa­no? An den Namen kann ich mich erin­nern. Es kann ja nicht scha­den ein­mal auf die Kar­te zu sehen. Ist das nicht even­tu­ell auch unse­re Rich­tung? Ich kra­me schnell unse­re Kar­te her­aus und in der Tat, San­ta Fé liegt genau auf dem Weg dort­hin. Aller­dings neh­men sol­che Lang­s­te­cken­bus­se ja nor­ma­ler­wei­se nicht ein­fach zusätz­li­che Pas­sa­gie­re mit, wenn sie für eine Pau­se stop­pen. Zumal San­ta Fé mit Sicher­heit kein Ort ist, in dem die­ser Bus nor­ma­ler­wei­se anhal­ten wür­de. Ich spre­che den Fah­rer trotz­dem an. Wir wer­den uns rela­tiv schnell han­dels­ei­nig und er erklärt er sich bereit, uns bis San­ta Fé mit zu neh­men. Juhuu!

Wir stei­gen also ein und nach kur­zer Fahrt sehen wir es dann zum ers­ten Mal: das kari­bi­sche Meer. Viel ist im Dun­keln zwar nicht zu erken­nen, aber uns ver­mit­telt es das Gefühl, es geschafft zu haben. Weg von dem stin­ki­gen Bus Ter­mi­nal, hin zu einem klei­nen ver­schla­fe­nen Ort an der Küs­te wo wir end­lich ein­fach rela­xen kön­nen! (Wie ich mich hier täu­schen sollte…)

Wäh­rend ich noch in Gedan­ken an küh­le Drinks unter Pal­men schwel­ge, nicke ich auch schon ein…

Kur­ze Zeit spä­ter ruft uns der Fah­rer zu, dass wir da sei­en. «San­ta Fé» hören wir von vor­ne. Und zum zwei­ten Mal heu­te Nacht stei­gen wir schlaf­trun­ken aus einem Bus. Es ist immer noch dun­kel. Ich schaue auf die Uhr – 4 Uhr 30 morgens.

Der Bus ist weg, wir ste­hen an einer Über­land­stra­ße. Rechts von der Stra­ße eine ein­sa­me Bus­hal­te­stel­le, ansons­ten nur Dickicht. Links der Stra­ße auch ein Bus­häus­chen und dazu eine Stich­stra­ße, die ortho­go­nal von dem High­way weg führt – von der Rich­tung her zur Küste.

Eine Aus­schil­de­rung «San­ta Fé» sucht man ver­geb­lich. Trotz­dem set­zen wir uns in Bewe­gung in Rich­tung der Stich­stra­ße. Viel mehr Mög­lich­kei­ten bie­ten sich ja nicht an. 

«no no… mui peligro­so… vengan…»

Zu viert, fast die gan­ze Stra­ße ein­neh­mend, gehen wir durch die Ein­sam­keit. Ein paar Häu­ser links und rechts, sonst nichts. Ich weiß nicht, war­um ich an «Spiel mir das Lied vom Tod» den­ken muss und mir gera­de jetzt die­se Melo­die im Kopf rum­geis­tert. «da — da – da – da» höre ich die Mund­har­mo­ni­ka in mei­nem Kopf. Jetzt müss­te nur noch einer die­ser ver­trock­ne­ten, rol­len­den Büsche vom war­men Wind getrie­ben vor uns her­rol­len und die Wes­tern-Illu­si­on wäre perfekt.

Außer uns ist hier kein Mensch. Die Stra­ße ist wie aus­ge­stor­ben. Fried­lich – Tran­qui­lo. Nein – war­te. Da vor­ne, dort bewegt sich etwas – dort ist jemand. Als wir näher kom­men, sehen wir, dass es sich um eine ein­sa­me Stra­ßen­fe­ge­rin han­delt. Sie schiebt ihren Wagen mit einem Besen vor sich her. Als wir an ihr vor­bei gehen wol­len, macht sie komi­sche Zei­chen und redet sehr schnell auf Spa­nisch auf uns ein. Ich ver­ste­he kaum etwas. Was ich mit­be­kom­me hört sich irgend­wie beun­ru­hi­gend an. So, als ob sie uns vor etwas war­nen will!

Was soll das denn nun wie­der? Muss die mich jetzt aus mei­ner Wes­tern-Phan­ta­sie rei­ßen? Das passt jetzt so gar nicht mehr zu mei­ner Vor­stel­lung. Die Hel­den wer­den doch nie von einer Stra­ßen­fe­ge­rin vor den Ban­di­dos gewarnt – oder doch? Ich glaub’ ich bin im fal­schen Film. 

Jetzt fragt sie «a don­de irán?» (Wo wollt ihr hin?)

Ich sage «a la Playa! Bus­ca­mos una posa­da!» (an den Strand, wir suchen eine Unterkunft!)

Sie sagt nur «No, no… mui peligro­so… ven­gan…» und bedeu­tet uns, ihr zu fol­gen. Wir schau­en uns fra­gend an. Was soll das denn nun schon wie­der? Was ist denn jetzt schon wie­der gefährlich?

Sol­len wir ihr fol­gen oder nicht? Weil sie ohne­hin in unse­re Rich­tung geht, beschlie­ßen wir, ihr zu folgen. 

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