Ein letztes Mal bauen wir die Zelte ab und frühstücken die letzten Reste unseres Proviants. Im Nachhinein betrachtet war unsere Auswahl gut, wir haben nicht zuviel und auch nicht zu wenig mitgenommen. Ein letztes Mal füllen wir unsere Flaschen im Fluss auf und schultern unsere Rucksäcke.
Diese letzte Etappe ist nicht lang. Auf dem Hinweg haben wir 3–4 Stunden gebraucht. Aber wir merken, dass uns die letzten 5 Tage ganz schön in den Knochen stecken. Und auch heute brennt die sengende Sonne über der baumlosen Ebene gnadenlos auf uns herab. Ein letztes Mal passieren wir das Auf und Ab der Hügel in der Gran Sabana. Zum letzten Mal überqueren wir einen kleinen Fluss auf einem Baumstamm. Als wir an der von den Einheimischen angezündeten Stelle vorbei kommen, wissen wir, dass wir es bald geschafft haben. Der mehrere Hektar große Bereich, der auf dem Hinweg gebrannt hat, liegt nun in Asche.
Sie zünden die Steppe an, um die Klapperschlangen zu vertreiben, haben wir herausgefunden. Mehr als fragwürdig.
Nico und ich reißen die verbleibende Stecke in knappen 3 Stunden ab. Fertig aber glücklich werfen wir die Rucksäcke ab und setzen unsere Trinkflaschen an. Klar, könnt ihr jetzt sagen, wären wir nicht so schnell gegangen, dass wir bei jeder Etappe mindestens eine Stunde vor den anderen (selbst den Indios) angekommen wären, dann wären wir jetzt auch nicht so erledigt. Das ist sicherlich richtig. Aber für mich war es als Ausgleich zu dem ewigen Bürojob einfach wichtig, mal wieder an meine Grenzen zu gehen und Nico hat das offenbar, trotz des Handicaps seiner offenen Füße, ähnlich gesehen…
Am Ziel warten wir nun zum letzten Mal auf den Rest der Truppe. Zwei Jeeps von der Agency sind sind nebst Fahrern auch schon da. Die Jungs laden unser Gepäck die Dächer der Jeeps und binden sie fest. Wir steigen ein und dann geht es in einem Affenzahn über die Buckelpiste nach Santa Elena. In den Jeeps sind hinten links und rechts jeweils Bänke, so dass wir im neunzig Grad Winkel zur Fahrtrichtung sitzen. So können wir nicht nur nach vorne sehen, sondern auch die Staubwolke hinter uns aus dem hinteren Fenster heraus beobachten. Zum Glück! Denn plötzlich fliegt einer der Rucksäcke vom Dach und in den Staub am Staßenrand. Der Fahrer bemerkt es noch nicht einmal. Erst als wir rufen, er solle anhalten, tritt er voll auf die Bremse und kommt rutschend in einer Staubwolke zum stehen. Krachend legt er den Rückwärtsgang ein und fährt mit durchdrehenden Reifen bei null Sicht rückwärts, bis neben ihm im Straßengraben ein völlig eingestaubtes Gebilde auftaucht, das entfernt an einen Rucksack erinnert. Ich glaube, es gibt niemanden in dem Jeep, der nicht die Daumen drückt, dass es nicht seiner sei. Aber erkennen kann man das beim besten Willen nicht. Der Fahrer springt raus und wirft den Rucksack mit einem Schwung wieder aufs Dach, klettert kurz hoch (möglicherweise um ihn fest zu machen, aber wissen kann man das nicht) und sitzt dann auch gleich wieder vorne. Erneut krachend rastet der Gang ein und mit durchdrehenden Reifen und einem Schlingern setzt sich der Jeep wieder in Bewegung. Das zweite, vor uns fahrende, Fahrzeug ist längst außer Sicht.
Die Fahrt von Paraí Tepui nach Santa Elena dauert ungefährt zwei Stunden. Nur wenig abseits der Strecke liegen die sogenannten «Jasper Falls». Wasserfälle, die auf ein Flussbett aus blutrotem Jaspis, einem Halbedelstein, fallen. Da wir das in unserem Guide gelesen hatten, besprechen wir hinten im Wagen, wie wir den Fahrer wohl trotz seiner offenbaren Eile davon überzeugen könnten, diesen Abstecher noch mit uns zu machen. Bei seiner gestressten Fahrweise hat er bestimmt keine Lust dazu. Fidel fragt an. Der Fahrer murmelt etwas von keine Zeit und er müsse nach Santa Elena. Aber wir lassen nicht locker. Gemeinsam reden wir nun auf ihn ein und letzten Endes lässt er sich erweichen.
Nico rollt nur die Augen über unseren Aktionismus. Er hat keine Lust mehr zu laufen, und seien es auch nur fünfhundert Meter. Als wir dann an dem kleinen Parkplatz anhalten, kommt er aber trotzdem mit. Und in der Tat sind es gerade mal fünfhundert Meter, die wir laufen müssen. An einigen Rundhütten vorbei, in denen die Indios Kunsthandwerk verkaufen und dann hinab in das Flusstal. Schon vom weiten hören wir das Getöse eines Wasserfalls. Beim Näherkommen traue ich meinen Augen kaum. Der ca. fünfzehn bis zwanzig Meter breite Fluss fließt in einem Bett, das vollständig aus aus glattem, rotem, orangenem und gelbem Stein besteht.
Ein Stück Flussaufwärts befindet sich ein Wasserfall. Er ist an die 5 Meter hoch und das Wasser fällt dort auf der gesamten Breite des Flusses hinab auf den Jaspis. Oberhalb des Wasserfalls ist das Flussbett aus dem gleichen Halbedelstein. Und wieder eine Laune der Natur, die in dieser Gegend offenbar ein Füllhorn an Superlativen ausgeschüttet hat.
Wow. So etwas habe ich noch nie gesehen. Das Farbenspiel ist fantastisch. Überall fliegen gelbe Schmetterlinge herum und setzen sich immer wieder auf den roten Stein. Ich bin froh, dass wir noch hergekommen sind! Eine Viertelstunde und einige Fotos später, gibt uns der Fahrer ein Zeichen, dass wir nun aber endlich weiter müssen. Nach Santa Elena ist es jetzt nicht mehr weit.
Wie lange wir für dieses kurze Stück jedoch brauchen würden, sollten wir bald erfahren…