Die erste Gelegenheit, dem Agency-Boss eins auszuwischen, ergibt sich direkt, als wir aus dem Jeep aussteigen. Eine Gruppe von sechs Personen steht vor seinem Laden. Wahrscheinlich – genau wie wir von knapp einer Woche – auf der Suche nach einem Anbieter für eine Trekkingtour auf den Roraima. Während unsere Fahrer aufs Dach geklettert sind und unser Gepäck losbinden, spreche ich sie an. Und wie vermutet, haben sie sich gerade über die Tour informiert und sind kurz davor, für den nächsten Tag bei dem Dicken zu buchen.
Ich nehme zwei von ihnen ohne großes Aufsehen beiseite und kläre sie, in kurzen Worten und auf Englisch, über die Machenschaften dieser Agency und ihres Besitzers auf. Als Alternative schlage ich ihnen alternativ vor, die Tour direkt bei Balbina zu buchen.
«Sie ist eine fantastische Fürherin, und günstiger bekommt ihr es vermutlich obendrein» sage ich. «Ihr müsstet allerdings noch einen Moment warten, sie kommt in ca. einer halben Stunde. Wenn dieser Jeep abgeladen ist», ich deute auf den Jeep, «wird sie mit dem Rest von unseren Leuten abgeholt. Wenn ihr so lange warten könnt, sprecht sie dann am Besten direkt an!»
Während ich das noch sage, kommt der Dicke aus der Tür heraus. Er sieht uns und macht gleich einen auf großes Hallo und wie toll es doch bestimmt gewesen sei. Dabei schaut er immer wieder zu den anderen herüber, wie um seine Worte zu bestätigen und zu sagen «seht ihr, die Jungs und Mädels hier sind der Beweis, dass alles was ich Euch erzählt habe, die Wahrheit ist, ich bin der tollste Organisator von allen!»
Ich sage zu ihm:
«Ja, absolut fantastisch!»
Selbstgefällig grinst er bis über beide Ohren.
«Die Führung, die Landschaft und das Wetter, echt top!»
Sein Grinsen wird noch breiter.
«Aber über Deine Organisation und Deine Ausbeuter-Methoden müssen wir mal sprechen. Sollen wir reingehen, oder willst Du das gleich hier» – ich deute auf die anderen – «besprechen?» Sein Grinsen gefriert in seinem Gesicht. «Ich weiß gar nicht was Du meinst» sagt er «aber wir gehen vielleicht besser rein!»
Sagt’s und stapft in sein Büro. Mein Rucksack ist mittlerweile unten angekommen und ich nehme ihn an mich. Nico hat seinen auch und geht unterdessen sicherheitshalber schonmal die Tüte mit unseren Sachen aus der Abstellkammer holen – wer weiß, wie das gleich noch endet…
Die anschließende Diskussion mit dem Dicken auf Spanisch, die sich fast eine Stunde hinzieht und mir zwar zeigt, dass ich mittlerweile durchaus in der Lage bin, auf Spanisch zu verhandeln, ist dann doch sehr anstrengend. Der Dicke windet sich wie ein Aal. Nico ist zwischenzeitlich losgegangen, um eine Posada zu organisieren.
Mir geht es vor allem um Gerechtigkeit. Erstens uns gegenüber. Er hat uns schön über den Löffel barbiert, in dem er uns doppelt so viel wie Fidel und den anderen abgenommen hat, bei gleicher «Leistung». Zweitens, weil wir für völlig unsinniges Essen zahlen mussten, welches weder wir noch die Indios mitschleppen konnten und wollten.
Und drittens, aber aus unserer Sicht am wichtigsten, den Indios gegenüber. Es kann nicht sein, dass er das vereinbarte Geld nicht an die Indios weiter gibt und von diesen aufgrund seines unsinnigen Einkaufsverhaltens verlangt, dass sie weit mehr als die vertraglich vereinbarten 15 kg tragen. Darüber hinaus hat er sie auch nicht für die drei zusätzlichen Leute entlohnt, die nachträglich in unsere Gruppe kamen. Mal ganz abgesehen davon, dass er ja auch uns fest zugesagt hatte, dass wir maximal zu sechst sein würden.
Und so lege ich ihm Schritt für Schritt dar, für was für ein egoistischen und selbstgefälligen Typen wir ihn halten und dass wir zumindest die Differenz zu dem, was die anderen bezahlt haben, von ihm zurück haben möchten.
Nun sind solche Menschen wie er naturgemäß eher vom Typus «Nehmen», als «Geben». Sonst wären sie ja nicht so. Er will von all dem selbstverständlich überhaupt nichts wissen. Aber ich lasse nicht locker. Was er davon hielte, wenn wir im Internet über seine Machenschaften schreiben würden?
«Das sei ist mir scheißegal!» sagt er. Na wenn das so, ist, dann muss ich mir ja auch keine Gedanken machen, wenn ich das hier aufschreibe :-)
Nach zähem hin und her und vielen Flüchen und Verwünschungen seinerseits, bekommen wir dann aber doch 100.000 Bvs. von ihm wieder. Ein wirklich hart erkämpfter Erfolg.
Um das nochmal klar zu stellen. Uns ging es in erster Linie nicht um das Geld. Aber Geld ist das Einzige, an das solche Leute glauben und woran sie hängen. Das heißt, dass Geld auch die einzige Wiedergutmachung sein kann, die sie wirklich leisten können.
Ich bin der Ansicht, dass jemand, der eine gute und faire Leistung erbringt, dafür auch angemessen entlohnt werden soll. Das war aber hier nicht der Fall. Die Leistung, die er erbracht hat, war mehr als zweifelhaft. Diejenigen, die eine (sehr) gute Leistung erbracht haben, waren die Indios, und die sind eben von ihm gerade nicht angemessen entlohnt worden.
100.000 Bvs. sind zwar nicht viel, aber doch immerhin so viel, dass wir davon unsere Busfahrt an die Küste bezahlen können und auch Balbina und Thomas noch ein angemessenes Trinkgeld geben können. Und dann ist da natürlich auch noch die innerliche Befriedigung, diesem Geizhals das Geld wieder abgerungen zu haben, wahrlich keine leichte Aufgabe!
Eine noch größere und nachhaltigere Befriedigung wäre es allerdings, wenn mein Reden gefruchtet hätte, und die Gruppe von heute nachmittag nicht bei ihm buchen würde. Balbina ist mittlerweile da, aber ob sie mit ihr gesprochen haben, weiß ich leider nicht und kann es im Moment auch nicht erfragen. Jedenfalls ist von der Gruppe im Moment nichts mehr zu sehen. Ich bin gespannt, ob wir sie nochmal treffen und herausfinden, wie sie sich entschieden haben!
Nico hat uns in der Zwischenzeit ein Zimmer besorgt. Nachdem wir es bezogen haben, unsere Wäsche gewaschen, ein wenig relaxt haben und ich im Internet-Café eine EMail an Diana geschreiben habe, besprechen Nico und ich noch die weitere Reise.
Wir haben uns mittlerweile schlau gemacht: man kommt nur mit dem Flieger nach Canaíma, entweder von hier aus, oder von Cuidad Bolívar, wobei letzteres günstiger ist. Wenn wir also Canaíma und die Angel Falls noch machen wollten, müssten wir mit dem Bus nach Cuidad Bolívar und dann mit dem Flieger nach Canaíma. Dort wäre es dann noch einmal eine 3–4 Tagestour. Alles in allem auf jeden Fall kein preiswertes Unterfangen.
Ich bin ja trotz all der Strapazen immer noch im Bann der Tafelberge. Ich würde es trotz der Kosten und der Tatsache, dass ich dafür auf einige Tage an der karibischen Küste verzichten müsste, machen. Nico allerdings hat die Nase vom Wandern voll, selbst wenn es nur drei Tage wären, und will jetzt schleunigst an die Küste. Der Ausblick auf Karibik und die Möglichkeit zu Surfen lockt ihn einfach zu stark.
Letztendlich lasse ich mich nach einigem Hin und Her überreden, was bleibt mir auch übrig? Vor allem die Kosten für den Canaíma Trip und die mittlerweile schon langsam knapp werdenden Restzeit sind natürlich auch schlagkräftige Argumente, die ich nicht einfach von der Hand weisen kann und will.
Abends gehen wir noch etwas essen und treffen in der Bar Fidel und die anderen aus unserer Gruppe.
Und was wir nun zu hören bekommen, haut uns fast vom Stuhl: Fidel erzählt, dass der Dicke völlig ausgeflippt sei, nach dem wir sein Office verlassen hätten.
«Was bilden sich diese Scheiß-Ausländer nur ein! Die sind doch wirklich das Allerletzte!» habe er gesagt. «Die behandeln mich hier wie dreckige Indios und sind selbst noch viel schlimmer als die!»
Nicht genug damit, dass er das gesagt hat – nein – diese Äußerungen hat er auch noch direkt vor Balbina, Thomas und den anderen Indios gemacht, die zu dem Zeitpunkt noch in seiner Agency waren. Wie die darauf reagiert haben, kann man sich ja vorstellen.
Oh, wie bestätigt das unsere Einschätzung!
Ich koche vor Wut und Mitleid mit diesen ehrlichen, aufrichtigen und liebenswerten Menschen. So ein blasiertes Arschloch! Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt.
Während wir noch darüber diskutieren, ob wir noch etwas tun können, betritt die Gruppe, die vorhin vor dem Laden stand, die Bar.
Natürlich will ich sofort von ihnen wissen, ob sie die Tour gebucht haben!
Und was sie uns erzählen ist Balsam für unsere erhitzten Gemüter: sie haben die Tour direkt bei Balbina gleich für morgen früh festgemacht haben und zahlen dafür sogar noch weniger als für das «unschlagbare Angebot» des Dicken.
Mein Puls sinkt. Es gibt doch noch Gerechtigkeit auf der Welt! Die Gruppe zahlt weniger, Balbina verdient mehr und kann die Tour auf ihre Art machen und der Dicke geht leer aus – Rache ist Süß! :-)
Nico schaut mich an: «Stell Dir mal vor», sagt er, «wir müssten morgen früh gleich wieder los. So wie Balbina. Nochmal die ganze Tour gehen!»
«Puh» sage ich, «lass uns lieber schnell sehen, dass wir an die Karibik kommen…»
Später, nach unserer Rückkehr, habe ich erfahren, dass Balbina sich kurz danach ihren lang gehegten Traum erfüllt hat: gemeinsam mit Thomas hat sie sich selbständig gemacht und bietet jetzt auf eigene Faust Touren für Touristen an. Nicht nur auf den Roraima, sondern auch zu anderen interessanten Zielen in der Gran Sabana. Und am wichtigsten dabei: Sie macht die Touren auf ihre Art. Im Einklang mit der Natur und den Sitten und Gebräuchen ihres Stammes. Nun ist sie ist nicht mehr abhängig von den ausbeuterischen Methoden von Menschen, die nur an ihren eigenen Profit denken – und das ohne Rücksicht auf Verluste.
Sollte jemand von Euch, liebe Leser sie in Venezuela treffen und selbst einmal eine Tour mit ihr machen, bitte ich darum, ihr ganz herzliche Grüße auszurichten!