Kurz vor dem Ziel jedoch, erlebt unsere Fahrt nach Santa Elena eine weitere, diesmal ungewollte, Unterbrechung. Etwa zwanzig Kilometer vor Santa Elena platzt der Reifen unseres Jeeps. Schlingernd kommt er zum stehen, wir steigen aus und sofort knallt uns die brennende Mittagshitze entgegen. Kein Lüftchen rührt sich, kein Baum oder Strauch spendet Schatten. Und das, wo wir uns doch so auf eine kalte Dusche gefreut haben! Wir gucken uns den Reifen an: Da ist nichts zu machen, der ist hin.
Komm, sage ich zu Nico, lasst uns mit anpacken, dann ist der Reifen schnell gewechselt.
«Wo habt ihr das Ersatzrad?» frage ich den Fahrer.
«Ersatzrad?» fragt er nur und grinst schief.
«Ja, Ersatzrad!» wiederhole ich.
«no,» murmelt er achselzuckend «no hay…». «Das liegt in der Agency» fügt er auf meinen fragenden Blick noch hinzu.
«Na, da liegt es ja gut…» höre ich Nico entnervt sagen. Dann dreht er sich um und setzt sich unter einen Felsvorsprung, der ihm allerdings gerade einmal zwanzig Zentimeter Schatten spendet.
Was wir nun erleben, ist venezolanisches Improvisationstalent live.
Interessant ist, dass jetzt plötzlich offenbar alles gar nicht mehr so eilig ist. Hatte er uns vorhin bei den Jasper Falls nur 15 Minuten Zeit gegeben, und auch das nur nach längerem Überreden, wird die Lösung des vor uns liegenden Problems nun gemächlich angegangen.
Da der andere Jeep wahrscheinlich schon längst in Santa Elena ist, ruft unser Fahrer nun in der Agency an. Nein, der sei noch nicht da, erklärt man ihm.
Wenn er denn käme, sagt er daraufhin, solle sein Kollege doch mal einen Ersatzreifen besorgen und dann die Strecke zurückfahren. Wir stünden hier am Straßenrand mit einem Platten.
Für uns heißt das, in der Sonne warten und weiter von unserer Dusche träumen.
Nach gefühlter sehr langer Zeit, und noch einigen Telefonaten kommt endlich der Jeep und er hat sogar einen Reifen dabei.
Na, ob der wohl passt? Wir sollten es nie erfahren.
Die beiden Fahrer laden ihn jedenfalls jetzt erstmal aus und dann wird er erstmal ausführlich begutachtet und hin und her gedreht. Ich wundere mich nur, dass die so lange quatschen, statt jetzt einfach mal den Reifen zu wechseln, damit wir endlich los kommen. Plötzlich klettert der eine von ihnen in einem Anfall von Aktionismus auf unseren Jeep und fängt an, die Spannbänder von unserem Gepäck zu lösen.
Nanu, was wird das denn? Meinen die, der Wagenheber schafft das Auto nicht inklusive Gepäck, oder was? Während wir uns noch fragend ansehen, klettern nun auch der andere von den Beiden auf den anderen Jeep, auf dem, mit dem er gekommen ist. Dieser Jeep ist deutlich kleiner als unserer. Der Kollege auf unserem Jeep beginnt jetzt, unsere Rucksäcke zu dem anderen hinüber zu werfen.
Ich gucke fragend in die Runde und mein Blick trifft sich mit dem von Fidel. «Was macht ihr da?» ruft er ihnen zu. «Wir laden das Gepäck um.» kommt die banale aber doch treffende Antwort. «Wir fahren euch mit dem hier», und er zeigt auf den intakten, aber kleinen, Jeep «nach Santa Elena». «Hmm, da passen wir aber nicht alle rein!» entgegnen wir. «Das macht nichts», sagt er, «dann fahren wir eben zweimal!»
Aha, daher weht also der Wind. Die sind wahrscheinlich einfach zu faul, den Reifen zu wechseln. Denken wir.
«Kommt, wir helfen Euch, ist doch kein Problem, der Reifen ist schnell gewechselt!» rufe ich ihnen zu. Aber davon wollen sie nichts wissen.
Rucksack für Rucksack wird umgeladen und auf dem kleinen Jeep verzurrt. Irgendwie verstehen wir die ganze Aktion nicht. In der Zeit, hätten wir den Reifen doch dreimal gewechselt!! Aber, was sollen wir machen. Ehrlich gesagt, ist es uns auch langsam egal, Hauptsache, wir kommen jetzt endlich mal nach Santa Elena!
Also wir dann zu guter letzt im Jeep sitzen, dämmert uns plötzlich, was der Grund für das ganze Theater ist:
Der kleine Jeep, in dem wir jetzt sitzen, stellt sich als das Privatauto unseres Dicken Agency-Chefs heraus. Und es scheint für seine Angestellten das absolut Größte zu sein, einmal das Auto des Chefs zu fahren. Und hier und heute bietet sich für sie die nie dagewesene Gelegenheit, dieses Kleinod sogar zweimal zu fahren!
Und einen der Gründe, warum das so cool ist, erleben wir jetzt gleich «live» und in Farbe: In dem Auto gibt es einen DVD-Player, der Monitor hängt vorne am Dachhimmel. Stolz und betont langsam legt unser Fahrer, bevor wir losfahren, eine Bee Gees Live DVD aus den Achtzigern ein. Ein dreh am Lautstärkeregler, ein betont lässiges zurücklehnen im Sitz, und los geht’s nach Santa Elena mit voller Lautstärke und den Gebrüdern Gibb im schönsten Falsett:
«Ah – ah – ah – ah – staying alive – staying alive… Ah – ah – ah – ah – aahhhhh.…»
Als wir ankommen, sind wir ziemlich erschöpft – ich kann allerdings nicht verleugnen, dass es vermutlich nicht nur an der Musik liegt… :-)
Und obwohl Dusche und Posada so laut rufen, habe ich vorher noch eine wichtige Sache zu erledigen. Jetzt knöpfe ich mir erstmal den Dicken Agency Chef vor. So lange müssen die Anehmlichkeiten der Zivilisation noch warten!
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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Das hat mich richtig aufgemuntert heute morgen! Ich vermutete schon, sie hätten die Gepäckseile als Zugseile verwendet und sich selber davor gespannt. Aber das entspräche nicht der südamerikanischen Mentalität. Bin jetzt gespannt auf die Standpauke. IHW