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Unerwarteter Zuwachs – Roraima Trek, 2. Tag

Gegen 3 Uhr nach­mit­tags kom­men Nico und ich an dem Base­camp direkt unter­halb des Rorai­ma an. Wir sind ganz schön erle­digt, denn wir haben uns einen ziem­li­chen Vor­sprung gegen­über den Ande­ren erlau­fen. Wir nut­zen die Zeit, um unser Zelt auf­zu­bau­en. Noch haben wir freie Platz­wahl, also stel­len wir es so auf, dass wir hin­ter uns auf das gewal­ti­ge Rorai­ma Mas­siv bli­cken kön­nen und vor uns in die Wei­te der Gran Saba­na, die jetzt schon ein gan­zes Stück unter uns liegt.

Das minüt­lich wech­seln­de Far­ben­spiel begeis­tert und ver­zau­bert uns

Bal­bi­na kommt als nächs­te, ca. 1 Stun­de spä­ter, und ist ziem­lich fer­tig. Nach­dem sie ver­schnauft hat, nut­zen wir die Gele­gen­heit, uns mit ihr zu unter­hal­ten, solan­ge die ande­ren noch nicht alle da sind. Wir erfah­ren, dass sie – wie wir – von der Agen­cy ziem­lich ange­pisst ist. Sie erzählt, dass sie mit der gesam­ten Abwick­lung und Orga­ni­sa­ti­on des Dicken mehr als unzu­frie­den sei. Er wür­de sie und ihre Beglei­ter regel­recht aus­beu­ten. Das hät­te sie so noch bei kei­ner der ande­ren Agen­ci­es erlebt. Sie stört sich an den glei­chen Din­gen, über die wir uns auch schon auf­ge­regt haben: Die Fehl­pla­nung mit dem Essen und der viel zu schwe­ren Aus­rüs­tung, dass sie unge­fragt die Ver­ant­wor­tung für den klei­nen Jun­gen über­neh­men muss und jetzt hat sie gera­de – als Krö­nung des Gan­zen – auch noch erfah­ren, dass heu­te Abend noch drei wei­te­re Teil­neh­mer zu unse­rer Grup­pe sto­ßen sollen. 

Wir schau­en sie fra­gend an!? Ja, sagt sie – Genau­es wis­se sie auch nicht, aber der Dicke habe sie gera­de über Funk infor­miert, dass er heu­te mor­gen einen Fran­zo­sen und zwei Deut­sche los­ge­schickt habe. Sie wür­den die ers­ten zwei Etap­pen an einem Tag lau­fen und heu­te Abend zu uns stoßen.

Nur noch sill­ou­et­ten­haft ist der Kukenán zu erkennen

Na, das ist ja groß­ar­tig! Wir schwan­ken zwi­schen Mit­leid für die Drei – denn die Tour an einem Tag zu lau­fen ist sicher­lich kein Geschenk – und Wut, dann eigent­lich hät­ten wir doch bei der Sache auch noch ein Wört­chen mit­zu­re­den gehabt, oder? Auf jeden Fall wider­spricht es ein­deu­tig der Abma­chung, die wir mit dem Dicken getrof­fen hat­ten, maxi­mal in einer Sech­ser­grup­pe zu gehen! Wir befürch­ten dar­über hin­aus, dass die Neu­en bei so einem Gewalt­marsch kein eige­nes Essen dabei haben wer­den, son­dern auch noch von unse­ren Vor­rä­ten wer­den leben müs­sen. Dass wir die von der Agen­cy ein­ge­kauf­ten Sachen aus den schon genann­ten Grün­den ziem­lich zusam­men­ge­stri­chen und die Hälf­te zurück­ge­las­sen haben, weiß ja sonst keiner! 

Und was ist das Ergeb­nis des Gan­zen? Der Dicke macht noch­mal ein schö­nes Zusatz­ge­schäft! Die Neu­en müs­sen die ers­ten zwei Etap­pen an einem Tag lau­fen und wir müs­sen mit der grö­ße­ren Grup­pe klar kom­men. Gut für ihn, schlecht für sie und schlecht für uns. Mal ver­lie­ren wir, mal gewinnt der Dicke.

Die Indi­os sagen, dass sie das letz­te Mal für den Dicken arbeiten.

Unse­re Wut auf den Typen wird immer grö­ßer. Mitt­ler­wei­le ist auch Fidel ange­kom­men und hat sich in das Gespräch ein­ge­schal­tet. Mit ihm kom­men wir mitt­ler­wei­le uner­war­tet gut zurecht. Er lässt uns mit sei­nen poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen in Ruhe und bezüg­lich der Behand­lung der Indi­os sei­tens der Agen­cy sind wir uns alle sehr einig. Über­haupt hat­te sich unse­re Sech­ser­grup­pe eigent­lich gera­de ganz gut zusam­men­ge­fun­den und wir haben abge­se­hen von allen ande­ren Argu­men­ten eigent­lich gera­de gar kei­ne gro­ße Lust auf Zuwachs. Aber was sol­len wir machen. 

Ich nut­ze die Gele­gen­heit, Fidel das zu fra­gen, was mich schon die gan­ze Zeit inter­es­siert: näm­lich, wie viel er denn nun für die Tour im End­ef­fekt bezahlt habe! Er hat­te ja mit dem Dicken die­se tol­le Abma­chung getrof­fen, dass er sein Gepäck selbst tra­gen wür­de, wovon wir ja impli­zit – trotz vol­lem Tarif – sowie­so aus­ge­gan­gen waren. Wir erfah­ren von ihm, dass er nur knapp die Hälf­te bezahlt habe. Boah sind wir sauer. 

Auch die Indi­os sagen, dass sie das letz­te Mal für den Dicken arbei­ten wür­den. Ich bin sicher, das ist das ein­zi­ge, was ihn wirk­lich emp­find­lich tref­fen könn­te. Wir erfah­ren spä­ter, dass Bal­bi­na eine der bes­ten und gefrag­tes­ten Füh­re­rin­nen weit und breit ist. Sie arbei­tet dies­mal nur aus­nahms­wei­se für die­se Agen­tur, sonst eigent­lich immer eigen­stän­dig, ohne Agen­tur. Erwähn­te ich schon, dass wir bereu­en, die Tour nicht selbst orga­ni­siert zu haben?

Abends trifft dann als ers­tes der Fran­zo­se ein. Eigent­lich müss­te er uns ja leid tun. So ein Gewalt­marsch in der Hit­ze. Aber zum Mit­leid kom­men wir gar nicht. Ich habe sel­ten jeman­den erlebt, der es geschafft hat, sich in so kur­zer Zeit so unbe­liebt zu machen. Er redet wie ein Was­ser­fall, weiß alles, alles ganz genau und alles bes­ser. Kaum da, macht er den Orga­ni­sa­tor und redet und redet. Lei­der auch noch auf Eng­lisch, und mit einem ganz furcht­ba­ren Akzent… Na wunderbar.

Wenigs­tens hat er einen eige­nen Trä­ger und eige­nes Essen mit­ge­bracht, so dass sich unse­re Befürch­tun­gen in die­ser Hin­sicht nicht bewahrheiten.

Eine Stun­de nach dem Fran­zo­sen – es ist mitt­ler­wei­le schon eine Zeit­lang dun­kel – kom­men die zwei Deut­schen. Wie zu erwar­ten war, völ­lig fer­tig. Er, mit einen ziem­li­chen Bier­bauch und einem Kon­sum von 40 Ziga­ret­ten am Tag, pfeift buch­stäb­lich aus dem letz­ten Loch. Und ihr geht es nicht viel bes­ser. Dass die Bei­den das Ziel über­haupt erreicht haben, grenzt schon an ein Wun­der. Na, das kann ja an den nächs­ten Tagen etwas geben! Mor­gen früh neh­men wir die «Ram­pe» in Angriff, das anstren­gends­te Stück des Treks.

Der Rorai­ma thront über uns wie eine rie­si­ge Fes­tung, die fast einen Kilo­me­ter senk­recht emporragt.

Nico und ich sind etwas rat­los mit der gan­zen Sache. Wir hat­ten uns so auf die­se Wan­de­rung gefreut und jetzt kommt ein Ding nach dem ande­ren. Im End­ef­fekt sind wir uns aber einig, dass wir nur eine Chan­ce haben: Wir müs­sen das bes­te dar­aus machen. 

Dies wird wahr­schein­lich das ein­zi­ge Mal in unse­rem Leben sein, an dem wir die Chan­ce haben, auf die­sen ein­ma­li­gen Tafel­berg, die­ses Zeug­nis der Erd­ge­schich­te, zu stei­gen. Das aller­letz­te was wir wol­len, ist hier Stress zu haben wegen eines unfä­hi­gen und geld­gei­len dicken Rei­se­ver­an­stal­ters und den Aus­wir­kun­gen sei­ner Hab­gier und schlech­ten Orga­ni­sa­ti­on. Wir sind wegen der Natur und des Aben­teu­ers hier, und wol­len genau die­se genie­ßen! Wir beschlie­ßen, dass wir genug dar­über gere­det haben und das alles ab sofort erst­mal bei­sei­te schie­ben wer­den und uns voll und ganz dem hier und jetzt und die­ser fan­tas­ti­schen Land­schaft wid­men wol­len. Wenn wir zurück sind wird es dann eine erns­te Aus­spra­che mit dem Dicken geben, bei der wir einen Teil unse­res Gel­des zurück for­dern wer­den. Zusätz­lich kön­nen wir sei­ne Machen­schaf­ten immer noch in den ein­schlä­gi­gen Foren, z.B. bei Lonely Pla­net, ver­öf­fent­li­chen um ande­re vor ihm zu war­nen. Aber jetzt, wäh­rend unse­res Treks, wer­den wir uns erst­mal nicht mehr damit befassen.

Nacht unter dem Rorai­ma… Mor­gen neh­men wir den Auf­stieg in Angriff!

Bald taucht der Voll­mond die Gran Saba­na unter uns in sein sil­ber­nes Licht. Ein Anblick, den wir so schnell nicht ver­ges­sen wer­den. Über uns thront der Rorai­ma wie eine rie­si­ge Fes­tung, die fast einen Kilo­me­ter senk­recht empor­ragt. Mor­gen gehen wir ihn an!

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