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Die Nacht auf dem Polizeirevier

Die Stra­ßen­fe­ge­rin geht vor uns die ansons­ten men­schen­lee­re Stra­ße hin­ab. Wir fol­gen ihr. Ihre Andeu­tun­gen haben uns nach den Erfah­run­gen der letz­ten Nacht nun doch etwas ver­un­si­chert. Plötz­lich und unver­mit­telt bleibt sie vor der ört­li­chen Poli­zei­sta­ti­on ste­hen. «Poli­cia» sagt sie. Was um alles… den­ke ich, wir wol­len doch nicht zur Poli­zei, wir wol­len doch nur eine Unterkunft!

Ich fra­ge noch­mal «la Playa?» und zei­ge die Stra­ße wei­ter run­ter. «No, no» sagt sie «mui peligro­so!» (Nein, nein – sehr gefährlich!)
Mann, das darf doch alles nicht wahr sein. Wir gehen noch ein paar Meter und dann geht natür­lich auch bei uns Vie­ren die Dis­kus­si­on los. Sol­len wir wirk­lich an den Strand gehen, wenn sie uns so ein­dring­lich davor warnt? Ist die­ser Strand hier unge­fähr­li­cher, als der in Puer­to la Cruz, vor dem uns die Poli­zis­ten vor­hin so ein­dring­lich gewarnt haben? Eigent­lich ja, denn dies hier ist ein ver­schla­fe­nes Nest und kei­ne Groß­stadt. Den­ken wir. 

Wir wer­den uns rela­tiv schnell einig, dass hier mög­li­cher­wei­se irgend­wie der Wurm drin sein könn­te. So vie­le Leu­te kön­nen uns nicht unab­hän­gig von­ein­an­der war­nen, ohne dass da irgend etwas Wah­res dran ist. Wir beschlie­ßen also, uns ein­fach hier in der Nähe der Poli­zei­sta­ti­on auf den Bür­ger­steig zu set­zen und zu war­ten, bis es hell wird. So lan­ge kann das ja mitt­ler­wei­le auch nicht mehr dau­ern. Um die­se Zeit wer­den wir ja sowie­so noch kei­ne Unter­kunft bekom­men, die schla­fen doch noch alle.

«Klack – klack» macht es, als er die rie­si­ge, bedroh­lich aus­se­hen­de Pump-Gun durchlädt.

Als wir uns gera­de hin­set­zen wol­len, tritt einer der Poli­zis­ten aus der Tür des Poli­zei­re­viers auf die Stra­ße und schaut sich läs­sig um. Zwangs­läu­fig fällt sein Blick dabei auf das vier­blätt­ri­ge Klee­blatt, das da vor sei­nem Zaun steht und gera­de die Ruck­sä­cke vom Rücken hievt.

«Zu wel­chem Hotel wollt ihr?» fragt er. Hotel? Ich bin irri­tiert. «Wir suchen eine Posa­da», sage ich.

«In wel­cher Posa­da seid ihr denn?»

«In kei­ner», sage ich. «Wir suchen eine.» Dann füge ich noch hin­zu: «Kön­nen Sie eine empfehlen?»

Mit gro­ßen Augen schaut er einen von uns nach dem ande­ren an. Er scheint das nur schwer nach­voll­zie­hen zu kön­nen. 4 Grin­gos kreu­zen hier ein­fach so mit­ten in der Nacht aus dem Nichts auf und haben noch nicht ein­mal ein Hotel gebucht.

«Ich kann Euch zu einer Posa­da brin­gen» sagt er. «aber erst wenn es hell ist, jetzt hat noch nie­mand auf. Außer­dem ist es nicht rat­sam im dun­keln an den Strand zu gehen». Jetzt sagt der das auch! Was ist denn hier nur los??

«Kommt mit rein,» sagt er und macht eine Hand­be­we­gung in Rich­tung der offe­nen Tür. «Hier auf der Stra­ße könnt ich nicht blei­ben. Ihr war­tet bes­ser drinnen.»

Wir kön­nen gera­de noch dan­ke sagen, da schiebt er uns schon mit­samt unse­rer Ruck­sä­cke durch die Tür. «War­tet hier» sagt er und huscht an uns vorbei.

Ich schaue mich um. Links von uns liegt ein klei­nes Büro, das mit allen mög­li­chen Sachen voll gestopft ist. Davor ist eine Art Tre­sen, auf dem Funk­ge­rä­te ste­hen und ein wei­te­rer Poli­zist. Die­ser han­tiert mit einer – rie­si­gen und bedroh­lich aus­se­hen­den Pump­gun. «Klack – klack» macht es, als er sie durch­lädt. Ob das wirk­lich zum Reper­toire gehört, oder ob er uns nur impo­nie­ren will – wir wür­den es nicht erfahren.

Die Zel­len sind wirk­lich spar­ta­nisch ein­ge­rich­tet und mit dicken Git­tern versehen

Rechts von uns ist eine ver­schlos­se­ne Tür – offen­bar noch ein Büro. Direkt davor steht ein Fern­se­her mit auf­ge­setz­ter Zim­mer­an­ten­ne, auf dem rau­schend und fla­ckernd offen­bar vene­zo­la­ni­sches Früh­stücks­fern­se­hen läuft.

Aber das neben der Pump­gun Span­nends­te liegt direkt vor uns: eine ver­git­ter­te Wand. Dahin­ter drei Zel­len. Direkt hier im Ein­gangs­raum der Poli­zei­wa­che – unglaub­lich! Und die­ser Zel­len sind wirk­lich spar­ta­nisch ein­ge­rich­tet, um nicht zu sagen, sie sind leer. Schwarz-grau­er Fuß­bo­den, schwarz-graue Wän­de. Davor dicke Git­ter, dazwi­schen dicke Git­ter. Jetzt passt das Wes­tern-Kli­schee wie­der, in dem wir uns vor­hin gese­hen haben. Lei­der (oder zum Glück??) sind die Zel­len leer.

Als ich noch so in Gedan­ken bin, kommt unser Poli­zist wie­der aus einem der Neben­räu­me und schleppt 4 Stüh­le an. Er stellt sie im Halb­kreis vor den lau­fen­den Fernseher. 

«Setzt Euch» sagt er – «macht es Euch bequem!» 

«Oh – dan­ke…» kön­nen wir nur sagen. Irgend­wie ist das hier alles echt sur­re­al. Aber nach all dem, was wir die­se Nacht schon erlebt haben sind wir nun doch irgend­wie auch ganz schon froh, jetzt hier zu sein. 

Wenn mir aller­dings vor­her jemand erzählt hät­te, dass ich mich ein­mal freu­en wür­de, eine Nacht auf einer Poli­zei­sta­ti­on in Vene­zue­la zu ver­brin­gen, hät­te ich ihn wahr­schein­lich für ver­rückt erklärt. Aber so sit­zen wir nun hier zu viert in der Poli­zei­sta­ti­on von San­ta Fé direkt neben den Gefäng­nis­zel­len (auf jeden Fall ist mir hier das Wort «neben» sehr wich­tig), schau­en vene­zo­la­ni­sches Früh­stücks­fern­se­hen und har­ren der Din­ge, die da noch auf uns zukom­men sollen!

Ich bin mir nicht hun­dert­pro­zen­tig sicher, ob unser Poli­zist das ernst gemeint hat, dass er uns zu einer Posa­da brin­gen wür­de, und ich bin mir auch unsi­cher, ob wir das über­haupt anneh­men kön­nen und wol­len. Immer­hin scheint er ja schon beschäf­tigt zu sein. Zumin­dest rennt er jeden­falls immer mal wie­der zu einem der Funk­ge­rä­te, nuschelt irgend­was auf spa­nisch und ver­schwin­det dann vor­ne durch die Tür. Meist ist er dann spä­tes­tens zehn Minu­ten spä­ter wie­der da. Ich wür­de ja zu ger­ne wis­sen, was hier Nachts so abgeht!

Als es lang­sam anfängt zu däm­mern, bleibt er zum ers­ten Mal län­ger weg. Wir war­ten noch eine Vier­tel­stun­de bis es rich­tig hell ist und beschlie­ßen dann, weil er noch nicht zurück ist, allei­ne los zu zie­hen. Just in dem Moment kommt er wie­der durch die Tür her­ein. «So,» sagt er von sich aus, «jetzt brin­ge ich Euch zu einer Posa­da.» Er bedeu­tet uns, die Ruck­sä­cke auf­zu­set­zen und ihm zu folgen. 

Die Fischer keh­ren mor­gens mit ihren Fän­gen zurück

Markt in San­ta Fé

Jetzt sehen wir San­ta Fé zum ers­ten Mal bei Tag. Es sieht eigent­lich ganz fried­lich aus. Und die Poli­zei­sta­ti­on ist wirk­lich nur ein paar Schrit­te vom Strand ent­fernt. Wir gehen dem Poli­zis­ten nach, er geht zum Strand. Rechts liegt der Markt und die ers­ten Fischer begin­nen, ihre Fän­ge aus­zu­la­den und ihre Stän­de zu öffnen. 

Ein mor­gend­li­cher Blick aus dem Fens­ter: Wir sind in der Karibik!

Wir gehen die Strand gemein­sam eini­ge hun­dert Meter Rich­tung Wes­ten. Das gibt uns Gele­gen­heit, den Strand genau­er anzu­se­hen. Wow! Spie­gel­glatt liegt das Meer daund schim­mert im Licht der noch tief ste­hen­den Son­ne grau-blau hin­ter dem per­fek­ten, fei­nen Sand­strand. Ein paar Häu­ser und Bars säu­men den Strand. In Hin­ter­grund sehen wir sanf­te, mit Pal­men bewach­se­ne, Hügel. Idyl­le pur!

Vene­zo­la­ni­sche Karibikküste

Plötz­lich bleibt der Poli­zist vor einem ver­git­ter­ten Tor ste­hen. Dahin­ter sehen wir ein hüb­sches Anwe­sen. Holz­bal­ken geben dem Haus ein gemüt­li­ches Ambi­en­te und der rie­si­ge, bewach­se­ne Innen­hof tut sein übriges.

Der Poli­zist ruft und ein älte­rer Mann kommt ange­schlurft, zückt einen gro­ßen Schluss­el­bund und schließt uns auf. Wir gelan­gen in den Innen­hof, der nur durch das Git­ter vom Strand getrennt ist. Der alte Mann stellt sich als Besit­zer der Posa­da vor und heißt uns sehr nett will­kom­men. Er habe gera­de Kaf­fee gekocht, sagt er. Ob wir einen woll­ten? Nichts lie­ber als das! 

«Kaf­fee» sagt er «könnt ihr Euch immer neh­men, der steht hier» – damit deu­tet er auf sei­ne klei­ne Küche. «Mor­gens und abends gibt es Inter­net, das könnt ihr kos­ten­los nut­zen. Ach ja, unten ist ein Kühl­schrank und drau­ßen im Hof» damit deu­tet er nach unten «ist ein Grill, die könnt ihr auch nutzen». 

Kaf­fee? Inter­net? Kühl­schrank? Grill??? Träu­me ich jetzt oder war das heu­te Nacht alles ein böser Traum, aus dem wir jetzt erwacht sind?? Ich möch­te, dass das hier alles die Rea­li­tät ist! Tra­vel­ler, was willst Du mehr! Jetzt noch eine Dusche und dann ein ver­nünf­ti­ges Früh­stück und ich mag glau­ben, dass unser Traum von der Kari­bik letz­ten Endes doch noch wahr wird!

Unser Poli­zist sagt, er müs­se jetzt wie­der an die Arbeit.

«Ach ja», sage ich «eins noch – was ist denn da nachts bei Euch am Strand los, dass wir da nicht hin sollten?»

«Die Kri­mi­na­li­tät hat in den letz­ten Jah­ren auch hier in San­ta Fé extrem zuge­nom­men. Wir haben vie­le Obdach­lo­se, die am Strand über­nach­ten und sich mit Dro­gen­han­del und Über­fäl­len über Was­ser hal­ten. Lei­der kom­men wir nicht gegen sie an. Wenn wir sie ver­trei­ben sind sie kur­ze Zeit spä­ter wie­der da und es kom­men immer wie­der neue.»

«Na, dann noch­mal ganz herz­li­chen Dank, dass Sie uns gewarnt haben und wir bei Ihnen blei­ben durf­ten! Und für die tol­le Emp­feh­lung hier» füge ich noch hin­zu und zei­ge in die Runde. 

«Kei­ne Ursa­che – dafür sind wir doch da!» sagt er, grinst, winkt und ver­schwin­det am Strand…

Ich sprin­ge unter die Dusche und den­ke zurück: die letz­te Dusche hat­ten wir in San­ta Ele­na, und da auch nur kurz, weil wir den ver­meint­lich frü­hen Bus krie­gen woll­ten. Es ist wirk­lich so – man erlebt an einem Rei­se­tag mehr, als manch­mal in einer Woche zu Hau­se. Nach­dem wir uns etwas ein­ge­rich­tet haben, machen wir uns an die Rea­li­sie­rung unse­res Früh­stücks. Dazu gehen wir auf den Markt, an dem wir auf den Her­weg vor­bei­ge­kom­men sind und kau­fen fri­sches Obst und Brot ein, das muss jetzt ein­fach sein! 

Hier haben es geschafft! Wir sind an der Küs­te, die Stra­pa­zen sind vor­bei, jetzt ist rela­xen angesagt!

(Wenn das aller­dings mal alles so rei­bungs­los klap­pen soll­te… dann wäre die Geschich­te ja schon zuende :-))

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