Gefängnisinseln sind in Südamerika weit verbreitet. Hier können Schwerverbrecher abseits der Zivilisation weggesperrt werden. In Kolumbien haben wir eine solche Gefängnisinsel besucht und standen vor echten fotografischen aber auch emotionalen Herausforderungen. Über die Geschichte dieser Insel und meine Art, sie euch auch fotografisch zu erzählen, geht es heute.
Das Gefängnis liegt 30 Kilometer vom Festland entfernt im Pazifik und wurde von 1960 bis 1984 betrieben. Außer dem Gefängnis gibt es auf der Insel nur tiefsten Urwald – oder besser – Regenwald.
1984, direkt nach Schließung des Gefängnisses wurde die gesamte Insel zum Nationalpark erklärt und seitdem baulich nichts verändert. Nach wie vor sind die Gebäude um das Gefängnis herum die einzigen auf der Insel. Der Rest ist Natur und das ist gut so.
Heute werden die ehemaligen Unterkünfte der Wärter an die wenigen Touristen vermietet, die den langen Weg hierher auf sich nehmen. Das Gefängnis selbst verfällt und wird vom Regenwald überwuchert. Hier erwarteten wir schöne Foto-Motive von lichtdurchfluteten Ruinen inmitten des tropischen, allesverschlingenden Regenwalds. Deshalb hatten wir die Insel in unseren Reiseplan aufgenommen.
Die Insel sollte uns dann aber eine ganz andere Geschichte erzählen und meine fotografischen Ideen komplett auf den Kopf stellen. Aber dazu gleich mehr.
Schon auf der Anreise mit dem Speedboot hätten wir erahnen können, dass bei «Regenwald» hier der Name Programm ist. Während auf dem Festland und zu Beginn unserer Bootsreise noch wunderschönes Wetter war, sahen wir am Horizont, dort wo die Insel sein müsste, eine bedrohliche, schwarze Wolke.
Hier fing jetzt bei mir zum ersten Mal das Kopfkino an und ich fing an, das bisher eher theoretische Konstrukt einer Gefängnisinsel langsam zu realisieren und das, was das eigentlich bedeutet, fing an sich zu manifestieren.
Wie müssen sich die Gefangenen gefühlt haben, als sie genau diese Strecke zurückgelegt haben, wissend, dass das ein One-Way-Ticket sein würde und sie diese wolkenverhangene Insel nie wieder verlassen würden?
Die metereologische Situation, die wir an dem Tag erlebten, war tatsächlich keine Momentaufnahme: Auf der Insel herrscht eine durchschnittliche Luftfeuchtigkeit von über 90% und es fällt eine jährliche Niederschlagsmenge von ca 7.000 mm. Das ist ungefähr 10 Mal so viel wie in Hamburg.
Als wir dann ankamen und unsere Quartiere in den ehemaligen Hütten der Wärter bezogen hatten, war das Wetter aber eigentlich sogar ganz schön, sodass wir einen ersten Gang durch die Gefängnisanlage unternahmen.
Neben der Nikon Z 9 hatte ich auch die Insta 360 dabei, und bevor ich euch meine «richtigen» Bilder vom Gefängnis zeige, hier erst mal einige ganz interessante 360 Grad Aufnahmen mit der Insta.
Der sonnendurchflutete Urwald mit den alten Ruinen sah wirklich schön aus, aber irgendwas passte hier nicht so ganz zusammen. Ich konnte die düstere Geschichte dieses Ortes einfach nicht in sonnendurchflutete Urwaldbilder packen. Am Ende haben es auch keine der Bilder von diesem ersten Tag in meine Endauswahl geschafft.
Abends kam nach einem wunderschönen Sonnenuntergang dann der Regen.
Und es regnete und regnete. Und zwar aus Kübeln. Den ganzen nächsten Tag. Und es hörte nicht auf.
Der natürliche Instinkt des Fotografen ist nun natürlich: Ich muss mein Equipment schützen. Wir können doch nicht im Regenguss mit den teuren Kameras rumlaufen. Lass uns warten, bis es wieder aufhört. Aber es hörte nicht auf.
Im Nachhinein muss ich sagen: Zum Glück für unsere Fotos! Denn irgendwann beschlossen wir dann, dass wir das Risiko eingehen und im Regen fotografieren würden. Und hier entstanden dann die Bilder, die es später in meine Auswahl geschafft haben und die es mir ermöglichen, euch die Geschichte dieses Gefängnisses zu erzählen und das, was ich dort empfunden habe, wiederzugeben.
Bis zu 2.500 Schwerverbrecher gleichzeitig waren zwischen 1960 und 1984 in diesem Gefängnis untergebracht, welches nach dem Vorbild der Nazi-Konzentrationslager gebaut wurde. Es gab keine Matratzen und keine Kissen in den Schlafsälen oder gar Einzelzellen.
Toiletten waren einfach Löcher im Boden. Gewalt war allgegenwärtig. Morde und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Meist passierten sie in den Bädern, daher waren hier die Wände niedrig, so dass die Wärter alles sehen konnten.
Gefangene wurde permanent von den Wärtern und anderen Gefangenen vergewaltigt. Außerdem gab es, wie man sich vorstellen kann, alle möglichen tropische Krankheiten und Seuchen sowie Unmengen an Schlangen, deren Bisse meist tödlich verliefen. An Anti-Seren war hier nicht zu denken.
Die Schlangen, die es überall auf der Insel gab (und noch gibt) waren einer der Gründe, warum es kaum Fluchtversuche gab. Und sie waren der Hauptgrund, weshalb wir uns als Besucher auf der Insel nur mit Gummistiefeln und Guide bewegen durften.
Der zweite Grund dafür, dass es kaum Fluchtversuche gab, waren die Haie, die in der 30 Kilometer breiten Meerenge zwischen Insel und Festland leben. Diese sahen wir nicht, dafür aber Delfine und Buckelwale.
Das aber hier nur am Rande… Weiter geht’s mit unserem Rundgang durch die Gefängnisanlage.
Man weiß nur von einem gelungenen Fluchtversuch eines Gefangenen von der Insel. Und zwar hat sich das 1984, kurz vor der Schließung des Gefängnisses ereignet. Offenbar war zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt, dass das Gefängnis geschlossen werden sollte.
Der Insasse, der ausbrechen wollte, hatte sich gut vorbereitet. Er hatte über Monate hinweg die Meeresströmungen sehr genau studiert. Am Tag eines heiligen Festes, das offenbar von den Wärtern mit einigem Alkohol zelebriert wurde, verschwand er zunächst in den dichten Dschungel auf der Insel. Hier fertigte er sich mithilfe von Baumstämmen und Lianen ein Floß. Nach etlichen Tagen wagte er sich an die Überfahrt und erreichte tatsächlich einen Tag später das kolumbianische Festland. Von offizieller Seite wurde hingegen angenommen, er sei bei dem Fluchtversuch ertrunken und die Presse berichtete, er sei von Haien gefressen worden.
Leider muss man sagen, hatte er jedoch überlebt. Als notorischer Vergewaltiger und Mörder verging er sich in den nächsten zwei Jahren an über hundert Mädchen, bevor er in Ecuador gefasst wurde und dort inhaftiert wurde. Seine Strafe bekam er dann aber doch noch, denn er wurde kurze Zeit später von einem Mitinsassen ermordet.
Es gab unterschiedliche Stufen der Einzelhaft. Stufe eins, die «normalen» Zellen waren vielleicht 1,70 m lang, hier konnten sich die Insassen je nach Körpergröße unter Umständen gerade so hinlegen.
Dann gab es aber noch Stufe zwei, die verschärfte Einzelhaft, in der die Zellen so klein waren, dass die Gefangenen nur stehen konnten. Stufe drei war dann zusätzlich ein Loch in der Decke durch das permanent Wasser lief.
Ihr seht, diese Geschichten passen nicht zu einem sonnendurchflutetem Urwald. Die bedrückende Stimmung kam erst durch den Regen und das Wissen, dass dieser hier eher die Regel als die Ausnahme ist. Das, in Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit und der nur annähernden Vorstellung, was hier abgelaufen sein muss, hat uns sehr nachdenklich gestimmt und ich hoffe, mit diesen Bildern und meinem Bericht konnte ich euch mal eine etwas andere Art der Reisefotografie zeigen als bunte, ästhetische Bilder.
In Kolumbien herrscht zum Glück seit einigen Jahren Frieden. Wer sich für die bewegte Geschichte das Landes interessiert, dem möchte ich die sehr gute Serie Narcos ans Herz legen, ihr könnt sie bei Netflix ansehen. Sie erzählt die haarsträubende Geschichte von Pablo Escobar und wie er in Kolumbien in den 80er und 90er Jahren aus einer Idee heraus eines der mächtigsten Drogenkartelle der Welt geschaffen hat und wie er dabei die Behörden sowie die inländische und ausländische Politik sprichwörtlich an der Nase herum geführt hat.
In Bezug auf solche Gefängnisinseln kann man nur hoffen, dass man Wege findet, Menschen, die solch grausame Dinge verübt haben wie die Insassen, über die ich euch heute berichtet habe, von der Menschheit fernzuhalten, aber eben auf anderem Weg, als es hier gemacht wurde.
Fotografisch ist meine «Message» an euch: Überlegt euch, was ihr mit euren Bildern aussagen wollt, welche Geschichte ihr erzählen möchtet. Und versucht dabei eure Gefühle so authentisch wie möglich in eure Bilder einzubringen. Und wenn das bedeutet, im strömendem Regen unterwegs zu sein, dann macht das! Ihr werdet euch später viel mehr über diese «erarbeiteten» Bilder freuen, als über die leicht zu habenden, die vielleicht eher einem gängigeren Bild der Ästhetik entsprechen.
Nach 3 Tagen verließen wir die Insel wieder. Es hatte nicht aufgehört zu Regnen. Erst nach der Hälfte der Strecke zum Festland brach die Sonne hervor.
Ein letzter Blick zurück auf die dunkle Wolke und die Vorfreude auf «hellere» Orte.
Es blieb das gute Gefühl, nicht unter den Vielen zu sein, die diese Rückreise nie antreten durften…
Habt ihr auch schon einmal ähnliche fotografische Herausforderungen erlebt? Wie habt ihr sie umgesetzt? Ich würde mich sehr über eure Geschichte in den Kommentaren freuen!
PS: Ich habe den Namen der Insel bewusst nicht genannt, da mir der Erhalt solcher exklusiver Ziele am Herzen liegt und ich nicht möchte, dass meine Bilder und der Bericht bei Suchen nach diesem Ziel in den Suchmaschinen auftaucht. Wenn jemand von euch an dem genauen Ziel für eine eigene Reise interessiert ist, schreibt mir gerne eine EMail.
Weitere Impressionen von unserer Kolumbien Reise
Kolumbien
Umgeleitet!!! Kolumbien ist ein wunderbares Reiseland, welches fotografisch unglaublich viel zu bieten hat. Die Karibikküste mit der wunderschönen Stadt Cartagena, die Pazifiküste, das Kaffeedreieck, wunderschöne Nationalparks und die nettesten Menschen Südamerikas :-). Die Unruhen der Vergangenheit sind passé und derzeit ist in Kolumbien noch nicht der große Massentourismus ausgebrochen, daher ist jetzt eigentlich die richtige Zeit, […]
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!