In diesen Tagen stellt Nikon die neue «kleine» Vollformat-Kamera D610 vor – als Nachfolger der D600 – und viele sind überrascht. Bringt sie doch wenig Neues gegenüber der D600. Warum also dieses Upgrade?
Mit der D600 verband mich ja von Anfang an eine Hassliebe. Nachdem ich sie, kurz nach ihrem Erscheinen gekauft hatte, schickte ich sie, nachdem ich einen ausführlichen Testbericht geschrieben hatte, zurück und schaffte eine D800 an – die mich bis heute sehr glücklich macht. An der D600 störten mich vor allem die sehr engen Autofokus-Felder, die Probleme im Live-View und das Gehäuse sowie die Bedienung auf D7000 Niveau – nichts gegen die D7000 – aber für das Geld hatte ich mir damals einfach mehr erwartet.
Ein halbes Jahr später schaffte ich dann doch wieder eine D600 an – nämlich vor unserer Afrika-Reise. Ihr rauscharmer 24MP Vollformat-Sensor war für die Nachtaufnahmen, die wir dort aufnehmen wollten, prädestiniert. Und bei der Zeitraffer-Fotografie kommt es auch nicht auf den Autofokus oder die Haptik der Kamera an. Der Liveview hingegen nervte mich allerdings schon ziemlich, da ich natürlich viel auf dem Stativ gearbeitet habe.
Insgesamt war ich mit der Low-Light Performance der D600 jedenfalls sehr zufrieden und die 24MP waren mir deutlich lieber für Zeitraffer, als die 36MP der D800. So hätte die D600 die fast perfekte Zeitraffer Kamera sein können, wäre da nicht das Problem mit der Sensor-Verschmutzung gewesen, auf das ich mangels Langzeit-Erfahrung in meinen Reviews ja noch gar nicht eingegangen war.
Staub und Öl auf dem Sensor – ein Ärgernis für viele D600 Besitzer
Schon kurz nach dem Erscheinen der D600 waren die Foren voll von Berichten entnervter D600 Besitzer, die im oberen linken Bildrand Staub und Ölspritzer in ungewohntem Ausmaß feststellten. Nikon und viele Händler wurden nicht müde, das Problem zu dementieren bzw. herunterzuspielen – nach einer Sensorreinigung sei das weg, es handele sich hierbei um normale Verschmutzungen etc… Allen Berichten der D600 Besitzer hingegen war zu entnehmen, dass diese Probleme durchaus real waren und eben weit über «normaler» Sensor-Verschmutzung lagen, der sich durch sporadisches Reinigen bekommen lässt.
Kinderkrankeit oder chronisches Problem?
Als ich mir meine zweite D600 kaufte, war die D600 schon über ein halbes Jahr auf dem Markt und ich nahm an, dass die «Kinderkrankheit», nur eine Erscheinung der ersten Modelle sein würde, und Nikon diese doch sicherlich nach Bekanntwerden sofort behoben haben würde.
Aber Pustekuchen. Normalerweise bin ich kein Erbsenzähler, was Sensorstaub angeht. Ich fotografiere selten mit stark geschlossener Blende (denn nur dann sieht man die Sensorflecken), und wenn ich das bei Landschaften dann doch einmal mache, dann habe ich auch kein Problem damit, mal einen oder zwei Staubflusen in Lightroom wegzustempeln. Meine Sensoren reinige ich nie selbst, sondern lasse das sporadisch – aber selten – mal bei Nikon machen. Weder mit der D800, der D7100, der D7000 noch mit der D5200 oder D5100 und erst recht nicht mit der D300 oder D70 hatte ich je Probleme mit Sensorverschmutzung. Bis heute nicht.
Was die D600 hier aber dann auch bei mir ablieferte, war einfach unterirdisch. Bei ihrem häufigsten Einsatz, den nächtlichen Sternenhimmeln Afrikas fiel das natürlich nicht auf, aber einige Tages-Sequenzen, die ich abgeblendet aufnahm, ruinierte sie vollkommen. Das ist sehr ärgerlich, da darunter einige unwiederbringliche Aufnahmen aus dem Death Vlej in Namibia waren.
Wieder zurück in Deutschland, schickte ich sie natürlich sofort zum Service. Über Verbindungen zu Nikon-Insidern erfuhr ich, dass mittlerweile schon ein neuer Verschluss in die D600 eingebaut würde, dieser Verschluss «der 2. Generation» jedoch offenbar das Problem nicht lösen sollte. Und genauso war es dann auch. Nicht nur löste der neue Verschluss in meiner D600 das Stub/Öl-Problem nicht, sondern die Kamera kam auch mit völlig dejustiertem Autofokus zurück. Nun war ich richtig sauer.
Auf ein Neues…
Wieder ging es zum Nikon Service. Mittlerweile war von einem Verschluss 3. Generation die Rede – damit sollte nun alles gut werden. Sehr erstaunt war ich dann, als Nikon mir mitteilte, dass sie mir eine neue Kamera schicken würden. Beschweren tue ich mich darüber, insbesondere als Zeitraffer-Fotograf, sicherlich nicht, hatte die «alte» ja nun auch schon einige Auslösungen auf der Uhr. Dass der Austausch der Kamera die Regel ist, glaube ich allerdings auch nicht.
Mit dieser neuen D600 war das Problem sollte das Problem nun endlich erledigt sein.
UPDATE: Ist es aber nicht. Mittlerweile ist der Sensor schon wieder «vollgespritzt» – die D600 geht jetzt noch einmal zum Service. Hoffentlich im Austauch für eine D610.
Und was ist nun mit der D610?
Vielleicht fragt ihr Euch nun, warum ich soweit aushole? Nun – wenn ich in diesem Bericht nur auf die Unterschiede zwischen D610 und D600 eingehen würde, wäre nach der 2. Zeile schon Schluss gewesen. Um überhaupt die Motivation Nikons zu verstehen, die D610 verhältnismäßig kurz nach Einführung der D600 und ohne nennenswerte Weiterentwicklung auf den Markt zu bringen, wie sie es jetzt tun, müsst ihr einfach die Hintergründe kennen – ansonsten wäre diese Politik komplett unverstädnlich.
Es kam natürlich, wie es kommen musste. Dementi hin oder her – all die negative Presse und unzufriedenen D600 Besitzer trieben die Verkaufszahlen und den Preis der D600 in den Keller und den Unmut ihrer Besitzer hoch. Die Verschleierungstaktik Nikons und vieler Händler trug auch nicht gerade dazu bei, in irgendeiner Form das Vertrauen der User in die D600 wieder zu gewinnen.
Daher nun also die D610 – eine neue Kamera, bei der das Staub/Öl-Problem endlich gelöst sein soll!
Einerseits ist es natürlich gut – so weiß ein potenzieller Käufer heute wenigstens, dass er, wenn er eine D610 kauft, eine Kamera mit dem Verschluss der 3. Generation erhält, welcher dieses Problem nicht zeigt.
Umgekehrt ist es aber nach wie vor gefährlich, eine – nun ja günstig zu habende – D600 zu kaufen! Denn niemand weiß, in welcher Kamera welcher Verschluss eingebaut ist! Sicherlich gibt es einige D600 Modelle, auch früherer Generationen, am Markt, die das Problem nicht aufweisen – auf der anderen Seite kann ein potenzieller Käufer, ohne selbst Testaufnahmen zu machen, nicht herausfinden, ob eine Kamera betroffen ist. Und selbst wenn der Käufer die Chance hätte, diese Testaufnahmen zu machen – wer sagt denn, dass der Sensor nicht gerade erst gereinigt wurde und die Probleme nach wenigen hundert Aufnahmen wieder auftreten? Auf einen kostenlosen Austausch, wie es Nikon bei mir gemacht hat zu spekulieren, halte ich für relativ aussichtslos.
Der Leidtragende ist der Kunde
Diesen ganzen Unsinn, der im Endeffekt voll zu Lasten der Käufer geht, hätte Nikon sich und seinen Kunden meiner Meinung nach ersparen können, wenn sie von vornherein offensiv mit dem Thema umgegangen wären. Statt die Probleme zu dementieren, wäre doch offener Umgang mit den Kunden der deutlich bessere Weg gewesen. Dazu hätten sie die Probleme einräumen müssen und betroffenen Kunden offiziell die Möglichkeit zur Nachbesserung anbieten können. Der Image-Schaden und vermutlich auch der finanzielle Schaden (auf beiden Seiten!) wäre geringer gewesen und die Kunden hätten das sicherlich zu schätzen gewusst.
So aber, steht ein D600 Kunde heute doppelt doof da. Selbst, wenn sein Modell nicht betroffen ist, sind die Preise im Keller und potentielle Gebraucht-Kunden verunsichert. Der Preis für die D610 hingegen ist wieder in alten Höhen, und neue Features oder zumindest die Behebung der alten Unzulänglichkeiten gibt es auch nach über einem Jahr bei dieser Kamera nicht.
Was ist wirklich Neu bei der D610?
Das Einzige, was sich außer dem Verschluss bei der D610 gegenüber der D600 geändert hat ist eine geringfügig höhere Bildrate von 6 statt 5,5 Bildern pro Sekunde und eine angeblich verbesserter Weißabgleich (wobei ich hier auch bei der D600 keine Probleme feststellen konnte).
Ansonsten ändert sich nix.
Die oben gestellte Frage – endlich alles gut? Kann ich daher leider nur mit Jein beantworten. Die D610 bleibt die Nikon Kamera mit dem besten Sensor neben der D4 – soviel ist sicher. Aber sie liegt im High ISO Bereich nach wie vor nur einen Hauch vor der D800, die insgesamt als Kamera um Welten mehr Spaß macht – auch der Preisunterschied zwischen D610 und D800 ist wieder deutlich kleiner geworden.
Das Staubproblem mag nun mit der D610 Geschichte sein – allerdings wurde es zu 100% auf Kosten der Kunden «ausgemerzt».
Mein Rat an betroffene D600-Besitzer!
D600 Kunden, die nach wie vor von dem Problem betroffen sind, kann ich nur raten, lasst Euch nicht von Nikon abspeisen! Sendet Eure Kameras ein und besteht darauf, dass der Verschluss getauscht wird! Lasst Euch den Austausch des Verschlusses dokumentieren, damit ihr diese Bescheinigung später potenziellen Käufern vorlegen könnt, wenn ihr sie irgendwann verkaufen wollt!
Falls ihr Euch für die weiteren Eigenschaften der D610 interessiert, lege ich Euch nach wie vor meine ausführlichen Reviews der D600 an Herz, sie haben nach wie vor volle Gültigkeit. Dort findet ihr auch Vergleiche mit der D800 und den Crop-Kameras:
Nikon D610
Dies sind meine gesammelten Erfahrungen mit der Nikon D600 bzw. D610, der «kleinen» Vollformat-Kamera von Nikon. Der Unterschied zwischen der D610 und der D600 ist lediglich der Verschluss, der bei der D610 nicht das leidige Öl/Staub-Problem aufweist, sowie eine leicht erhöhte Bildwiederholrate von 6 Bildern pro Sekunde bei der D610 anstatt 5.5 Bildern pro Sekunde bei […]
Wie findet ihr eine solche Produktpolitik? War es richtig, hier die «Reißleine» zu ziehen und eine neue Kamera auf den Markt zu bringen, oder hätte sich Nikon anders verhalten sollen? Ich freue mich über Eure Meinung in den Kommentaren!
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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