Über Caracas habe ich mir im Vorfeld zu unserer Venezuela Reise die meisten Sorgen gemacht. Trotz einiger Südamerika Erfahrung erschien mir diese Stadt von vorne herein suspekt und ich hatte wenig Lust, sie kennen zu lernen. Mein Plan war daher, gleich am Flughafen einen Anschlussflug nach Mérida zu nehmen, der beschaulichen Universitätsstadt in den Anden, in der unsere Tour beginnen sollte.
Leider wusste ich auch von vornherein, dass das nur dann klappen würde, wenn unser Transatlantik-Flug superpünktlich ankäme, sonst hätten wir keine Chance, den Flug nach Mérida zu bekommen.Und genau dieser Plan zerplatzt nun schon, kurz nachdem wir in Paris in den Flieger nach Caracas umgestiegen sind. Der Pilot teilt uns nämlich mit, dass wir erst mit ca. einer Stunde Verspätung starten werden. Damit ist der Anschlussflug für uns jetzt schon in unerreichbare Ferne gerückt.
Das heißt, wir haben nun also ca. 10 Stunden Zeit, uns zwischen der Alternative, am Flughafen zu übernachten, oder mit dem Nachtbus nach Mérida zu fahren, zu entscheiden. Letzteres wäre ja an sich eine schöne Alternative, einziger Nachteil: Der Bus startet aus Caracas City. Und dort müssten wir erstmal hinkommen. Ich hatte zudem im Forum gelesen, dass die 30 km lange Autobahn vom Flughafen in die City wegen eines Erdrutsches gesperrt sei und alle Fahrzeuge die alte Route durch die Berge nehmen müssten. Fahrtzeit: 2–4 Stunden, je nach Verkehr…Nach den obligatorischen Einreiseformalitäten benötigen wir erstmal Geld, bevor wir irgendwelche weiteren Aktionen starten können. Schnell an den Automaten angestellt, EC-karte rein, nix. Mastercard rein, nix. Na, das fängt ja gut an. Zum Glück haben wir noch in Hamburg einige Euro in Dollar gewechselt, und so ist schnell eine Wechselstube gefunden. Die permanent nervenden Schwarztauscher lassen wir hier erstmal links liegen.
Vor dem Flughafen erwarteten uns 28 Grad und ein bedeckter Himmel. Es ist 17:30, die Luft ist drückend bis Schwül und ein echter Kontrast für uns im Vergleich zu den winterlichen Minus-Temperaturen vor ein paar Stunden noch in Deutschland.
Jetzt müssen wir weiter kommen. Der Anschlussflieger nach Mérida ist natürlich weg und wir wollen versuchen, den Nachtbus nach Mérida zu bekommen. Jetzt stellt sich noch die Frage, wo der denn wohl abfährt? Mit ein wenig Durchfragen erfahren wir, dass dieser im Zentrum von der Station «Las Bandeiras» abfährt.
Nun müssen wir noch einen Bus ins Zentrum finden. Vielleicht stimmt das mit dem Erdrutsch ja gar nicht und die Straße ist wieder frei. Wir fragen einige Taxifahrer. Die raten uns (natürlich!) ab, mit dem Bus zu fahren und empfehlen uns stattdessen, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Berufsethos? Vielleicht ein bisschen. Aber sie bestätigen noch einmal das, was ich gelesen habe. Dass die Straße nämlich wegen des Erdrutsches nach wie vor unpassierbar sei.
Nach einigem Überlegen erscheint uns die Idee, mit dem Taxi zu fahren, gar nicht so dumm. Es ist mittlerweile 18 Uhr. Es könnte uns also passieren, dass der Bus ins Zentrum aufgrund der Schleichwege, die er fahren muss, 3–4 Stunden braucht und das würde bedeuten, dass wir voll in die Dunkelheit kommen würden.
Weiterhin würden wir in Caracas auch keine Ahnung haben, wo wir aussteigen müssten und ob der Bus uns überhaupt in die Nähe des Terminals bringen würde. Immerhin hat Caracas eine Fläche von 2000 Quadratkilometer und 3 Millionen Einwohner!
Wir entschließen uns also dazu, ein Taxi zu nehmen, und das soll sich später noch als verdammt gute Idee herausstellen!
Ich fange gleich an zu verhandeln – muss man hier doch, oder? Aber da ist bei den Kollegen nichts auszurichten. Wir müssen 80.000 BVS bezahlen, dafür verspricht uns der Fahrer, uns in 1 bis 1 1/2 Stunden zum Terminal zu bringen und unterwegs für uns per Funk Plätze im Bus nach Mérida zu reservieren. Kein so schlechter Deal, wenn man bedenkt dass das ungefähr 25 € sind.
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Er fährt dann auch nicht die Autobahn, weil sich dort aufgrund der Erdrutsches alles staut, sondern durch die Berge eine kleine Straße, die sich in Serpentinen zunächst auf 2.000m hochwindet, bevor sie uns dann in das in einem Tal auf ca. 1.000m liegende Caracas entlässt. Die Strecke führt uns durch einige Vororte von Caracas. Und was wir hier sehen, verschlägt uns fast die Sprache.
Die Vororte sind an die Berghänge gebaut, vielleicht sollte man besser sagen «geklatscht», denn so sieht es aus. Zwischendrin fehlen immer mal wieder ganze Ortsteile – diese sind dann einem der zahlreichen Erdrutsche zum Opfer gefallen. Ein wirklich erschreckendes Bild.
Bei der Durchfahrt durch die Vororte kommen wir uns erst richtig deplatziert vor. Hier möchten wir definitiv in der jetzt angebrochenen Dunkelheit als «Gringos» nicht alleine und schon gar nicht mit unserem Gepäck herumlaufen. Die Straßen sind voll mit Menschen, die zum großen Teil sehr, sehr arm wirken.
Wir sehen allenthalben Waffen und wissen jetzt auch, warum bei dem Taxi, in dem wir sitzen, alle Scheiben bis auf einen ganz schmalen Sehschlitz vorne in der Windschutzscheibe komplett schwarz getönt sind.
Ich traue mich nicht, meine Kamera herauszuholen, um zu fotografieren.
Caracas hat je nach Zählweise zwischen 3 und 6 Mio. Einwohner. Das wahre Ausmaß wird uns deutlich, als wir über den Pass fahren und einen Blick in die dahinterliegenden Täler – allesamt von Caracas ausgefüllt – werfen können.
Stadt, soweit das Auge reicht!
Verdammt, wo soll da der Busbahnhof sein?? Gut, dass unser Fahrer das zu wissen scheint.
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Und er findet ihn. Und wir sind echt froh, dass er uns direkt am Busterminal heraus lässt. Hier herrscht ein Megatroubel. Gar kein Vergleich zu den Rodoviárias in Brasilien. Auf unsere Frage, wo wir hin müssten, ruft er uns einen Jungen heran, und bittet ihn, uns den Weg zu zeigen. Während wir noch unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum holen und schultern, bedeutet uns der Junge schon, dass der Bus gleich führe und wir ihm rápido, rápido folgen sollen.
Schnell frage ich unseren Fahrer noch, was denn der Bus kosten würde? Er sagt ca. 35.000 Bvs. pro Person, also ca. 8€. Hierfür hätten wir keinen Flug bekommen! Wir verabschieden uns uns müssen uns beeilen, denn der Junge eilt mit großen Schritten vor, und da müssen wir jetzt schnell hinterher, mitten durch die Menschenmenge.
Wir können ihm kaum folgen, so schnell wuselt er zwischen all den anderen durch. Immer wieder werden angesprochen, ob wir einen Bus bräuchten? Nein nein, wir wissen schon wo hin, rufe ich zurück. Scheiße, wo ist er jetzt?
Ah, da vorne. Schnell hinterher. Mann, was für eine Hektik. Aber wie sollen wir wissen, ob das nicht vielleicht wirklich der letzte Bus ist? Hier wollen wir jedenfalls die Nacht auf keinen Fall verbringen.
Nach einer ziemlichen Hetzjagt durch das Terminal sehen wir dahinter an die hundert Busse stehen. Die meisten mit laufendem Motor. Der Dieselgestank brennt in unseren Lungen und wir eilen immer noch dem Jungen hinterher. Er wuselt da durch und bedeutet uns immer wieder, ihm schnell zu folgen. Wir kommen kaum hinterher, da wir immer wieder andere «Hilfsbereite» abschütteln müssen.
Was für eine Hektik. Jetzt will er einen Bus klar machen. Die Gepäckluke ist auf. Wir checken nur noch schnell den Preis. Als der Fahrer hört, dass wir maximal 35.000 Bvs. pro Person zahlen wollen, fährt er plötzlich doch nicht mehr nach Mérida. Aha.
Weiter geht es. Der Junge voran, wir hinterher, und schon hat er einen weiteren Bus aufgetan. Auch hier ist der Fahrer über den Preis, den wir zahlen wollen, nicht glücklich, aber er willigt schlussendlich ein, nachdem der Junge ein bisschen für uns verhandelt hat.
Mérida? Ja, Mérida!
Dafür kriegt der Junge natürlich auch ein Trinkgeld – er freut sich und ist so schnell wieder weg, wie er uns hier her gebracht hat. Die Rucksäcke kommen in die Gepäckluke, geistesgegenwärtig nehmen wir noch schnell unsere Schlafsäcke raus, erhalten für die Rucksäcke sogar Gepäckbons und steigen dann in den doppelstöckigen, geräumigen, klimatisierten und mit Schlafsesseln ausgestatteten Reisebus mit Ziel Mérida ein.
Und schon geht es los! Puh. Ruhe. Sicherheit. Wir sind fix und fertig. Uns stecken 300km Bahnfahrt, eine Nacht auf dem Hamburger Flughafen, der Flug nach Paris, die Verspätung, der Flug nach Caracas, der Taxitrip durch die Vororte und die Hatz über den Busbahnhof in den Knochen.
Und jetzt endlich sitzen wir in einem wirklich bequemen Schlafbus, in dem es allenfalls aufgrund der Klimaanlage etwas kalt ist, aber dagegen haben wir ja zum Glück unsere Schlafsäcke. Noch schnell ein Foto und dann bin ich eingeschlafen…
Mérida wir kommen!
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