Mit einer riesigen Wassermelone, einem Sack voll Mandarinen und ein paar Bananen ausgestattet, setzen wir uns nach unserer wohlverdienten Ruhepause auf die schöne Veranda im ersten Stock unserer Posada. Wir wollen besprechen, wie wir die Planung des Roraima-Treks angehen wollen. Gerade haben wir unsere Bestecke heraus geholt, um die Wassermelone genüsslich auszulöffeln, da kommen plötzlich die zwei Bewohner des Nachbarzimmers heraus und sie setzen sich zu uns auf die Veranda. Als erstes fällt uns sein Aussehen auf: er sieht wirklich original wie Fidel Castro in jung aus. Seine Begleiterin könnte von Alter her seine Tochter sein, auch wenn er selbst, trotz des Bartes, nicht viel älter als dreißig wirkt.
Und wie das so ist, kommen wir ins Gespräch. Sie sind Amerikaner, sie ist nicht seine Tochter, aber auch nicht seine Freundin sondern nur eine Reisegefährtin, die er zufällig getroffen hat. Und da hier in Santa Elena ja irgendwie jeder Besucher auf den Roraima will (warum sollte man auch sonst in diese abgelegene Gegend kommen?), gilt das natürlich auch für die beiden – ein Thema ist also schnell gefunden. Fidel erzählt uns von seinem Plan, den Roraima zu besteigen.
«Ich war schon oft in Südamerika» sagt er, «aber solche Touristensachen wie das hier mache ich normalerweise nicht.»
Hmm, denke ich, «so Touristensachen» machen wir ja normalerweise auch nicht, aber ich würde den Roraima-Trek eigentlich auch nicht unbedingt so klassifizieren…
«aha» sage ich also – «was machst Du denn normalerweise?»
«I’m here for revolution!»
«Revolution – okay…» – «was – äh – genau meinst Du denn damit?»
Und so erzählt er, dass er mit seiner Videocamera unterwegs sei, um die politische Lage in Venezuela zu dokumentieren. Er habe auch schon einige sehr, sehr eindeutige Beweisfotos gemacht.
«Was sind das denn für Fotos?» wollen wir wissen.
Er habe die Jungs von der Guardia beim Kontrollieren fotografiert.
Nico und ich schauen uns an. Wow – denken wir. Das ist ja mal brisantes Material. Die haben wir doch auch fotografiert. Sind wir jetzt auch Revoluzzer?
Sein ganzes Auftreten ist extrem, klugscheißerisch und arrogant, vermittelt aber auch sehr stark den Eindruck, dass hinter dem allen gar nichts steckt, außer heiße Luft. Je länger wir mit ihm sprechen, umso mehr gewinnen wir den Eindruck, dass der Fidel-Bart seinen Grund hat, und der Typ eine echte Klatsche.
Jedenfalls erzählt er noch, das er die Wanderung auf den Roraima komplett auf eigene Faust organisieren will, einmal wegen der «Toristensache» aber vor allem auch, um Geld zu sparen. An sich ja keine schlechte Idee, für so etwas sind wir normalerweise ja immer zu haben. Aber eben nicht gemeinsam mit den beiden. Die Chemie passt schon nach der kurzen Zeit nicht, das letzte, was wir wollen ist, mit einem durchgeknallten Amerikaner, der einen auf «ich rette die Welt» macht, alleine in der Wildnis zu verbringen. Das entspricht nicht gerade unserer Traumvorstellung von dem Erlebnis einer Roraima Besteigung, und sei es im Endeffekt noch so günstig.
Wir sagen ihm also, dass wir das aus Zeitgründen nicht machen würden. Wir würden uns in diesem Falle lieber an eine der zahlreichen, hier ansässigen, Tour-Agencies wenden, weil wir schon morgen früh los wollten. Und das stimmt ja auch. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir ja absolut in Erwägung ziehen, alles selbst zu organisieren. Dass er unser eigentliches Problem ist, sagen wir erstmal nicht – man sieht sich schließlich manchmal zweimal im Leben…
„Okay – If you like it the easy way – go ahead!” ist seine Antwort darauf…
In der Tat ist die Organisation des Roraima Treks auf eigene Faust relativ aufwändig. Ganz abgesehen davon, dass wir kein Zelt, keine Isomatten und keinen Kocher dabei haben, müssten wir die Fahrt von Santa Elena zu dem Indianerdorf Parai-Tepui und am Ende wieder zurück organisieren, dort einen Führer finden, Essen für sechs Tage einkaufen und einiges mehr.
Die größte Schwierigkeit wäre definitiv die fehlende Ausrüstung, wir müssten versuchen uns die Sachen irgendwo zu leihen. Alles im Grunde natürlich machbar, aber eben nicht an einem Nachmittag.
Die Tour-Agencies hier vor Ort machen diese Touren regelmäßig. Sie arbeiten mit den indianischen Guides aus Parai-Tepui zusammen und man bekommt von ihnen alle oben aufgeführten Voraussetzungen gestellt und kann sich voll und ganz auf die Wanderung konzentrieren.
So denken wir zumindest. Dass das alles ein bisschen anders kommen sollte, und wir uns noch wünschen würden, wir hätten das auf eigene Faust organisiert, das können wir ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen…
Nachmittags machen wir uns also auf die Suche nach einem Touranbieter, der uns die 6‑tägige Wanderung inklusive Führer anbietet.Wir klappern also alle Tour-Anbieter in Santa Elena ab, zum einen natürlich, um Preise zu vergleichen, aber zum anderen auch, weil wir partout keinen finden, der für morgen eine Tour anbietet.
Irgendwann kommen wir zu einem dicken Typen, der in seiner Agency «Roraima Tours» abhängt. Er ist offenbar recht geschäftstüchtig, denn er sagt, er könne zwar nichts versprechen, wolle aber versuchen, für morgen eine Tour für uns zusammen zu stellen, wir sollen später nochmal wiederkommen.
So ganz sicher sind wir uns bei ihm allerdings nicht. Wir glauben eher an eine Hinhaltetaktik, um uns festzuhalten, damit er, falls er noch andere Interessenten bekommt, seine Tour voll machen kann.
Aber das ist uns erstmal egal. Wir haben ja keine andere Alternative. Er soll sehen, was er hinbekommt und wir gehen jetzt erstmal etwas essen. Das bisschen Obst vorhin hat nicht lange vorgehalten. Nach drei Runden durch den Ort, ohne wirklich fündig zu werden, kommen wir irgendwann zwangsläufig auch wieder an der Agency des Dicken vorbei.
Und was soll ich sagen – wir trauen unseren Augen kaum, als wir dort Fidel und seine Begleiterin sitzen sehen!
Aha?! Was ist denn da los? Erkundigen die sich etwa jetzt auch nach dem «easy way»?? Hilfe! Wir hoffen inständig, dass die Akquisekünste des Dicken bei den beiden nicht fruchten, denn wir wollen zwar die Tour unbedingt morgen machen, aber eben nicht unter der Voraussetzung, mit dem verrückten Revoluzzer 6 Tage in der Wildnis zu verbringen! So hatten wir uns das nicht vorgestellt.
Wir können aber im Moment nur abwarten und hoffen, und so kümmern wir uns also erstmal weiter um unsere Essenssuche. Und landen wir schließlich in einer Pizzaria. Von Träumen wie Brasilianischen Churrascarias oder ähnlichem haben wir uns in Venezuela schon lange verabschiedet. Die Esskultur ist wirklich lausig. Und das liegt nicht etwa daran, dass das Land arm ist. Es ist nur einfach so, dass es hier im Endeffekt eigentlich fast nur Fastfood gibt. Also jetzt kein Mac Donalds. Eher so selbstgemachtes. Aber alles super fettig. Zum Beispiel typisch: die Arepas. Morgens, mittags und abends. Mit-irgendwas-gefüllte-Teigtaschen. Ins heiße Fett geworfen, saugen sie sich voll wie ein Schwamm. Für uns eigentlich nicht wirklich essbar. Für die Venezolaner schon. Die essen die Dinger den ganzen Tag. Und man muss leider sagen: das sieht man auch.
Bis unsere Pizza kommt, dauert es dann zwar fast zwei Stunden und es ist mittlerweile dunkel, aber sie ist einigermaßen okay. Wir haben mittlerweile so einen Bärenhunger, dass wir mittlerweile auch Arepas genommen hätten :-)
Nach so viel vergangener Zeit können wir nur hoffen, dass der Dicke von der Tour-Agency sie sinnvoll genutzt und mittlerweile eine Gruppe zusammen gestellt hat. Ach ja – und dass Fidel sich von ihm nicht zum «easy way» bequatschen lassen hat…
Nach dem Essen stehen wir dann wieder bei dem Dicken auf der Matte. Was denn jetzt mit unserer Tour sei? Er habe gute Nachrichten sagt er. Er habe für uns alles möglich gemacht. Es ginge morgen los. Er habe eine Gruppe von 6 Leuten zusammengestellt und wir könnten morgen früh starten.
«Was sind denn das für Leute?» wollen wir gespannt wissen… So genau kann oder will er uns das aber nicht sagen. 2 Pärchen meint er nur, eines aus England. Okay, das hört sich doch eigentlich ganz gut an.
Jetzt geht es in die Verhandlung. Ich handle ihn auf 540.000 Bvs runter, damit ist es sogar im Vergleich zu allen anderen Anbietern (die allerdings ja morgen nicht starten) die günstigste Tour. Enthalten sein sollen in der 6‑tägigen Tour die Anreise mit dem Jeep, ein Guide für die gesamte Zeit, Essen und ein Zelt. Weiterhin handele ich noch einen Schlafsack für Nico heraus (seiner ist sehr dünn und damit nicht für die Höhe geeignet) und zwei Isomatten. Weiterhin können wir diejenigen Sachen, die wir nicht brauchen, bei ihm abstellen. Auf die Art sind wir mit allem Wichtigen versorgt, müssen nicht mal mehr einkaufen und auch nicht unser gesamtes Gepäck mitnehmen. Und morgen früh soll es gleich los gehen. Das hört sich doch hervorragend an – was wollen wir mehr!
Auf diese erfolgreiche Organisation gehen wir erstmal ein Bier trinken. Direkt vor der Posada Michelle ist eine nette Bar und dort setzen wir uns hin.
Plötzlich kommen zwei Männer mittleren Alters vorbei, der eine hat das Handy am Ohr und steht auf der Straße, der andere geht schonmal in die Bar. Sie sehen aus wie Deutsche, und sie hören sich auch an wie Deutsche.
Das Telefonat kann jedenfalls ganz Santa Elena mitverfolgen – sofern sie des Deutschen natürlich mächtig sind. Offenbar telefoniert er mit seiner Frau. Laut. Sehr laut. Auf der Straße.
«meine Fresse war dit anstrengend. Eine scheiß-lange Tour. Und eine Hitze. Nicht zum aushalten. … Ach ja, da oben – naja, Steine und so. Aber een Tag reicht völlich aus. Mehr brauchste nich in der Brüte – da wiste bekloppt!»
Als er mit dem Gebrülle und Gejammere fertig ist, wischt er sich erstmal den Schweiß von der Stirn und an seinem Bauchansatz ab und stiefelt dann in die Bar, wo wir ziemlich dicht an der Straße sitzen, so dass er an uns vorbeikommt.
«Wa Jungs – ihr wollt doch wahrscheinlich och da hoch, ne?»
«Sorry sir, what do you mean??»
Ab diesem Zeitpunkt nehmen Nico und ich uns vor, untereinander mehr englisch zu sprechen…
Ein, zwei Biere später kommen auch Fidel und seine Begleiterin in die Bar.
Sie sind morgen auch dabei.
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Alle Inhalte © Gunther Wegner
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