Es ist ein ungewohntes Gefühl für uns. Bisher hatten wir immer Ziele vor uns, hatten einen Weg zu gehen. Und nun sind wir endlich hier an der venezolanischen Karibikküste und trotz (oder gerade wegen?) der ganzen Anstrengungen und der Action in den letzten Wochen, fällt es uns verdammt schwer, so ad hoc einfach abzuschalten, nichts zu tun…
Und so bleibt es nicht aus, dass wir schon nach dem Frühstück wieder ins Überlegen kommen, was wir denn nun mit unserer ganzen «Freizeit» anfangen sollen. Die Neuseeländer haben offenbar schon eine Lösung gefunden: sie wollen sich einfach an den Strand legen und ausruhen. Entspannen. Wir können das im Moment irgendwie nicht. Zwar haben auch wir in der letzten Nacht kaum geschlafen, aber wir sind noch zu sehr im Modus «Erleben».
Also gehen wir kurzerhand an den Strand und heuern einen Fischer an, der uns zu einer kleinen, vorgelagerten Insel, der «Isla de Arapo» fahren soll. Den Tipp haben wir vom Chef unserer Posada bekommen. «Dort könnt ihr prima schnorcheln, ihr müsst nur mit dem Fischer vereinbaren, dass er Euch abends wieder abholt.»
Als wir gerade mit unseren Schnorchelsachen und zwei großen Tüten voll mit frischem Obst in das Boot steigen, rufen uns die Neuseeländer noch zu:
«Sollen wir Euch für heute abend frischen Fisch vom Markt mitbringen?»
«Klar, gerne!» Rufen wir zurück.
Mit dem Boot tuckern wir Richtung Nordwesten. Zunächst an der Küste entlang, dann an einigen kleinen Inseln vorbei über Sandbänke und Riffe. Da Wasser ist kristallklar und schimmert türkisgrün. Immer wieder sehen wir über den Riffen schwärme bunter Fische und farbenfrohe Korallen.
Tief atmen wir die frische, salzige Luft ein und genießen die Atmosphäre.
Auf dem Weg kommen wir an einer Insel vorbei, die über und über von Vögeln bevölkert ist. Auf unsere Bitte fährt unser Skipper er einmal drumherum und wir betrachten fasziniert das Schauspiel. Fast der komplette Felsen ist weiß vom Vogelkot. Immer wieder fliegen einzelne Vögel über uns hinweg und landen geschickt auf dem Felsen. Sie scheinen sich auch an unserer Anwesenheit nicht zu stören.
Nach kurzer Fahrt durch die Bucht erreichen wir dann die «Isla de Arapo» und der Fischer lässt uns aussteigen. «Bis später Jungs!», ruft er uns noch zu, dann wendet er sein Boot und tuckert wieder von dannen. Ganz alleine stehen wir auf dem kleinen Steg und fühlen uns ein bisschen wie Robinson Crusoe. Gegen drei Uhr hat er versprochen, käme er wieder. Na hoffentlich vergisst er uns hier nicht! Obwohl – es gibt wohl schlimmere Orte, an denen man vergessen werden kann… Wenn wir es hier nicht schaffen, zu relaxen, dann weiß ich es auch nicht.
Und so setzen wir uns also erstmal auf den Steg und schneiden die riesige Wassermelone auf, die wir mitgebracht haben. Zum einen, weil sie uns schon die ganze Zeit anlächelt, und zum zweiten, weil wir keine Lust haben, dieses Monster zu tragen, wenn wir die Insel erkunden.
Nachdem wir uns die Bäuche mit der köstlichen, frischen Melone richtig vollgeschlagen haben, nehmen wir das restliche Obst und machen uns auf den Weg, gegen den Urzeigersinn, am Strand entlang.
Nico geht vor. Nach einigen hundert Metern bleibt er an einer schönen Stelle unter einigen Palmen stehen und sagt nur: «Urlaub!». Ich nicke. Die Stelle ist perfekt. Hier können wir schnorcheln, fotografieren oder einfach nur relaxen. Wir stellen unsere Sachen ab, legen unsere Handtücher hin und legen uns darauf. So fühlen sich also Pauschalurlauber :-) Außer, dass die nie allein an perfekten Stränden wie diesem sind!
Es ist wirklich seltsam. Wir haben nichts zu tun. Ich esse eine Banane, lege die Schale neben unsere Obsttüte und mich selbst dann auf den Rücken. Die Sonne scheint mir ins Gesicht, eine leichte Brise wirkt kühlend, die Palmenwedel über mir rascheln, Herz, was willst Du mehr!
Ich mache die Augen zu und lasse die letzten Wochen noch einmal revue passieren. Das Chaos in Caracas, die Andenstadt Mérida mit den in Wolken liegenden Andengipfeln und dem gesperrten Teleférico, die Fahrt in die Llanos, die Zeit dort mit Anacondas, dem Ameisenbär und den tausenden Vögeln – dann die abenteuerliche Fahrt durchs Landesinnere in den viel zu lauten und zugigen Bussen und die nächtlichen Militärkontrollen. Dann der Flug über die Gran Sabana und zu guter Letzt dann der Trek auf den majestätischen Roraima, wie, um noch eins auf das Potpourri der Highlights oben draufzusetzen.
Die Bilder der Reise ziehen an meinem geistigen Auge vorbei und ich bin kurz davor, zufrieden einzudösen, als ich direkt hinter meinem Kopf ein raschelndes Geräusch höre. Nanu, ich dachte wir sind alleine, denke ich noch, drehe meinen Kopf so gut es geht und blinzle in die helle Sonne. Direkt vor meinem Gesicht sehe ich zwei große gelb-gesprenkelte Augen, die mich neugierig ansehen. Unwillkürlich zucke ich etwas zurück – genau wie mein Gegenüber, denn der erschrickt sich bei meiner Bewegung offenbar genauso wie ich bei seinem Anblick.
Er ist ungefähr einsfünfzig groß – oder besser: lang, hat eine schuppige, in vielen grün und brauntönen schimmernde Haut und eine Art Stacheln auf dem Rückgrat. Er ist ein Leguan. Neugierig blickt er zu der Bananenschale, die ich neben die Obsttüte gelegt habe, um sie später zu entsorgen.
«Du willst wohl die Bananenschale?» sage ich zu ihm. Eine Antwort bleibt er zwar schuldig, aber seine Augen sprechen Bände. Als ich sie ihm hinwerfe, mampft er sie zufrieden.
Jetzt ist auch Nico wach geworden und uns wird klar, dass dieser Kollege nur die Vorhut ist. In den Büschen am Rand des Strandes raschelt es und weitere Leguane kommen hervor. Nico schnappt sich unsere restlichen Bananen, und bevor ich noch protestieren kann, verfüttert er sie an die anderen Leguane. Was soll ich sagen, das sieht ganz nach einem Festmahl aus!
Zufrieden und satt legen sich die Leguane auf den Sand – sie sind Kaltblüter und mögen es daher gerne warm. Ich beschließe, die Schnorchelmöglichkeiten hier einmal auszuprobieren. Zwischen Korallen und bunten Fischen lasse ich mich eine Weile durch das angenehme und warme Nass treiben. Leider habe ich aus Platzgründen nur Maske und Schnorchel mit, keine Flossen. Trotzdem ist das Wasser erfrischend und die Unterwasserwelt interessant. Das hier ist jetzt sicherlich nicht das großartigste Schnorchelrevier, in dem ich je gewesen bin, aber doch durchaus sehenswert!
Natürlich kommt es, wie es kommen musste – über kurz oder lang kommt zwischen Nico und mir wieder das Thema der weiteren Reisegestaltung auf. So recht will das mit dem Entspannen offenbar hier doch noch nicht klappen :-).
Die Gegend um Santa Fé, in der wir uns derzeit befinden, ist zwar wirklich schön, aber für uns nicht unbedingt der Ort, an dem wir unsere restliche Zeit in Venezuela verbringen möchten. Es gibt noch irgendein Ziel, das uns ruft, das uns antreibt weiter zu ziehen. Vielleicht ist es der Wunsch, einen, den Ort zu finden, an dem für unsere Reise dann wirklich die Endstation ist, und wo wir dann genau die Entspannung finden können, die wir brauchen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese nicht im ausschließlichen am-Strand-liegen bestehen wird.
In unserem Traum von der Karibik kommen nicht nur nur Sonne, Palmen und Meer vor sondern auch Wind, Flachwasser und traumhafte einsame Surfmöglichkeiten.
Die Leidenschaft für das Surfen teilen Nico und ich uns, seit wir uns bei einem Kitesurf-Kurs vor einigen Jahren kennen gelernt haben. Dem entsprechend entstand auch die ganze Idee zu dieser Reise zwischen Nico und mir an einem Surfwochenende im November an unserem Lieblingsspot auf Fehmarn. Ursprünglich hatten wir überlegt, unsere eigenen Kites einzupacken und die brasilianische Nord-Ost-Küste entlang zu ziehen. Was aus diesem ersten Plan dann im Endeffekt geworden ist, habt ihr ja bereits in den vergangenen Kapiteln erfahren. Untere tatsächliche Reise, mit all ihren facettenreichen Erlebnissen, war nun natürlich nun um einiges vielseitiger, als ein reiner Surfurlaub und ich bin super froh, dass wir das uns dafür entschieden haben. Aber jetzt zum Abschluss nochmal ein paar Tage dieses traumhafte Wasser hier rocken, das wollen wir nicht auslassen!
Unsere Suche hier gilt also einem Ort, an dem wir Kitesurfen können. Über kristallklares, glattes, türkisgrünes Wasser entlanggleiten, außer uns nur ein paar Pelikane und einsame Palmen an dem perfekten Sandstrand – das wäre es.
Und den perfekten Ort – darüber habe ich schon viel gelesen – soll es gar nicht weit entfernt von hier geben: die kleine Insel Coche in der Nähe der Ferieninsel Margarita.
Und so sind wir uns schnell einig: dort wollen wir hin!
Der Fischer holt uns nachmittags wieder ab. Gemütlich tuckern wir bei spiegelglatter See zurück in Richtung Santa Fé. Zwischendurch hält er sogar noch einmal an, damit wir vom Boot aus schwimmen gehen können.
Eine dünne, hohe Wolkenschicht hat sich gebildet, so dass das Wetter nun etwas trüb wirkt und eine richtige, farbenfrohe Abendstimmung nicht aufkommen will. Dafür sehe ich aus dem Augenwinkel plötzlich eine Bewegung im Wasser. Und in der Tat: ich habe mich nicht getäuscht! Eine Schule von vielleicht 5 Delfinen begleitet unser Boot. Spielerisch schwimmen sie mit ihren stromlinienförmigen Körpern vor und neben uns durchs Wasser. Plötzlich schnellt einer aus seinem Element heraus, steigt auf, dreht sich und taucht sanft wieder ein. Unglaublich, so dicht an diesen Tieren dran sein zu dürfen! Sie sind frei und suchen trotzdem unsere Nähe!
Bald erreichen wir den Strand vor unserer Posada, wo uns der Fischer absetzt. Wir bedanken uns, geben ihm die vereinbarte Summe und noch ein Trinkgeld und öffnen das Tor zum Innenhof. Dort sitzen die Neuseeländer schon, grinsen, und deuten auf die Tüten mit Einkäufen, die sie vor sich stehen haben und den Grill im Innenhof:
«Tonight we’ll show you how Kiwis make barbecue!»
«Have you brought some beer as well?»
«No, actually…»
«Okay, than we Germans are going to take care of that… :-)»
Nico und ich machen auf dem Absatz kehrt und gehen in den Ort, um das zu erledigen. Glücklicherweise gibt es die Flaschen direkt aus dem Kühlschrank und so packen wir zwei Tüten damit voll und machen uns auf den Rückweg zur Posada, wo die Neuseeländer schon den großen, gemauerten Grill angefeuert haben.
Tja, was soll ich sagen – «the Kiwi-way of barbecue» beeindruckt uns schwer. Den frischen Fisch marinieren sie mit frischen Kräutern, als Beilage bereiten sie auf dem Grill lecker gewürztes Gemüse und Kartoffeln zu. Das ist definitiv mit großem Abstand das beste Essen, das wir seit langem hatten, und eines der besten Barbecues, das ich jemals gegessen habe. Selbst jetzt, beim Aufschreiben läuft mir noch das Wasser im Munde zusammen. Die frischen Zutaten, die salzige Meerluft, das kalte Bier und die ganze Atmosphäre hier tragen dazu bei, dass es ein sehr entspannter und lustiger Abend mit den beiden wird.
Hat Dir der Artikel gefallen?
Dann melde Dich doch bitte zu meinem kostenlosen Newsletter an. Dann bekommst Du eine Nachricht bei neuen Artikeln und Du wirst auch exklusiv als erstes über neue Workshops und Reisen informiert! Außerdem gibt es dort auch immer wieder Hintergrund-Infos, die so nicht im Blog stehen.
Natürlich freue ich mich auch sehr, wenn Du mir bei YouTube, Instagram und Facebook folgst.
Alle Inhalte © Gunther Wegner
*) Mit einem Stern gekennzeichnete Links sind externe Partner-Links. Ihr unterstützt mich, wenn ihr darüber bestellt. Alternativ könnt ihr auch über folgende Direktlinks in die Shops wechseln:
Amazon.de, Amazon.at, Amazon.com, Foto Koch, Augenblicke-Eingefangen, camforpro.com.
Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!